19 Minuten
nickte.
»Meine Lasagne war nicht berauschend, was?«
Er lächelte sie an. »Mach bloß nie ein Restaurant auf«, sagte er.
Als Josie mitten in der Nacht noch immer nicht schlafen konnte, schlich sie nach draußen und legte sich auf den Rasen. Sie starrte in den Himmel, der um diese Zeit so niedrig hing, dass die Sterne sie im Gesicht kitzelten. Hier draußen, außerhalb ihres stickigen Zimmers, konnte sie beinahe glauben, dass ihre Probleme im Vergleich zum Universum winzig klein waren.
Ab morgen würde Peter Houghton wegen zehnfachen Mordes vor Gericht stehen. Schon allein beim Gedanken daran wurde Josie schlecht. Sie konnte sich den Prozess nicht ansehen, weil sie auf dieser blöden Zeugenliste stand und nicht in den Gerichtssaal durfte.
Josie atmete tief durch und musste daran denken, was sie mal in Sozialwissenschaften gelernt hatte; irgendein Volk, waren es die Eskimos?, glaubte angeblich, dass Sterne Löcher im Himmel waren, durch die Verstorbene auf die Lebenden hinabschauen konnten. Eigentlich sollte das tröstlich sein, aber Josie fand die Vorstellung unheimlich, so als würde sie ständig bespitzelt.
Am Morgen der ersten Sitzung im Mordprozess gegen ihren Sohn nahm Lacy einen schwarzen Rock, eine schwarze Bluse und eine schwarze Strumpfhose aus dem Schrank. Sie kleidete sich wie zu einer Beerdigung, aber das war ja gar nicht so abwegig. Dreimal riss sie sich beim Anziehen Laufmaschen, weil ihre Hände so zitterten.
Sie wusste nicht, wo Lewis war, ob er heute überhaupt zum Prozess kommen würde. Seit dem Tag, als sie ihm zum Friedhof gefolgt war, hatten sie kaum noch miteinander gesprochen, und er schlief neuerdings in Joeys altem Zimmer. Peters Zimmer betraten sie beide nicht mehr.
Doch an diesem Morgen zwang sie sich, nicht gleich nach unten zu gehen, sondern die Tür zu Peters Zimmer zu öffnen. Nachdem die Polizei da gewesen war, hatte Lacy es wieder aufgeräumt, damit es, wenn Peter nach Hause kam, nicht mehr völlig durchwühlt aussah. Noch immer gab es gähnende Löcher -der Schreibtisch wirkte ohne den Computer nackt, und die Bücherregale waren halb leer. Lacy ging zu einem Regal und zog ein Taschenbuch heraus. Das Bildnis des Dorian Gray , von Oscar Wilde. Peter hatte es im Englischunterricht durchgenommen, als er verhaftet wurde. Sie fragte sich, ob er es wohl noch ausgelesen hatte.
Sie erschrak, als sie Schritte hörte. Lewis stand in der Tür. Er trug den Anzug, den er sonst zu Konferenzen und Abschlussfeiern am College anzog. In der Hand hielt er eine blaue Seidenkrawatte, und er sagte nichts.
Lacy nahm Lewis die Krawatte ab und band sie ihm. Sanft zog sie den Knoten fest und klappte dann den Hemdkragen runter. Als sie das tat, griff Lewis nach ihrer Hand.
Es gab keine Worte für Augenblicke wie diesen - für die Erkenntnis, dass man ein Kind verloren hatte und das andere bald unerreichbar sein würde. Lewis hielt Lacys Hand weiter fest und führte sie aus Peters Zimmer. Er zog die Tür hinter ihnen zu.
Als Jordan um sechs Uhr morgens nach unten schlich, um noch einmal seine Unterlagen für den Prozess durchzusehen, war der Küchentisch für eine Person gedeckt: eine Schüssel, ein Löffel, eine Packung Choco Krispies - das Frühstück, das er immer am Morgen einer Schlacht einnahm. Selena musste extra in der Nacht aufgestanden sein. Er schüttete eine große Portion in die Schüssel, dann ging er zum Kühlschrank, um die Milch zu holen.
Ein Zettel klebte an der Packung. VIEL GLÜCK.
Als Jordan sich gerade hinsetzen wollte, klingelte das Telefon. Er griff hastig nach dem Hörer - Selena und das Baby schliefen noch. »Hallo?«
»Dad?«
»Thomas«, sagte er. »Wieso bist du so früh schon auf?«
»Na ja, ich ... ich war noch gar nicht im Bett.«
Jordan schmunzelte. »Gute alte Studentenzeit.«
»Jedenfalls, ich wollte dir nur Glück wünschen. Heute geht's los, nicht?«
Jordan blickte auf sein Frühstück und musste auf einmal an die Aufnahmen von der Videokamera in der Schulcafeteria denken: Peter, der am Tisch saß, genau wie er jetzt, und umgeben von toten Schülern eine Schüssel Rice Krispies aß. Jordan schob seine Schüssel weg. »Ja«, sagte er. »Heute geht's los.«
Der Wärter schloss Peters Zelle auf und übergab ihm einen Stapel Kleidungsstücke. »Zeit für den Ball, Aschenputtel«, sagte er.
Peter wartete, bis er weg war. Er wusste, dass seine Mutter die
Sachen für ihn gekauft hatte. Sie hatte sogar die Preisschildchen dran gelassen, damit er sah, dass sie
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