19 Minuten
blickte nach unten auf ihre Hände. Auf dem kleinen Tisch wirkten sie riesig. »Danke für Ihre aufrichtigen Worte.« Sie stand vorsichtig auf, verließ den Klassenraum und ging zu Peter, der auf einer kleinen Bank im Flur wartete. Als seine Mutter war es ihre Aufgabe, ihm Steine aus dem Weg zu räumen, über die er stolpern könnte. Aber die Lehrerin hatte ihr klarmachen wollen, dass sie ihm diese Arbeit nicht überall und nicht für alle Zeit abnehmen konnte.
Sie ging vor ihrem Sohn in die Hocke und nahm seine Hände. »Du weißt doch, dass ich dich lieb habe, nicht?«, sagte Lacy.
Peter nickte.
»Und du weißt, dass ich nur dein Bestes will.«
»Ja«, sagte Peter.
»Ich weiß, was mit den Lunchdosen passiert ist. Ich weiß, dass Drew dich ärgert. Ich hab gehört, dass Josie ihn verhauen hat. Ich weiß, was er alles zu dir sagt.« Lacy spürte, wie ihr die Tränen kamen. »Wenn das wieder passiert, musst du dich wehren. Hast du verstanden, Peter, wehr dich, sonst ... muss ich dich bestrafen.«
Sie schluckte schwer und blickte Peter an, überlegte verzweifelt, wie sie ihn dazu bringen könnte, sich zur Wehr zu setzen, mit welcher Strafe sie ihm drohen sollte, obwohl sie sich selbst dafür hasste. »Wenn das noch mal passiert... darfst du dich einen Monat lang nicht mit Josie zum Spielen verabreden.«
Sie schloss die Augen, als sie die Worte aussprach. Das stellte sie sich zwar nicht unter Erziehung vor, aber offenbar hatte sie Peter mit ihren üblichen Ratschlägen - sei nett, sei höflich, sei so, wie du es dir auch von anderen wünschst - keinen Gefallen getan. Wenn sie ihn mit einer Drohung dazu bringen konnte, so laut zu brüllen, dass Drew und all die anderen schrecklichen Kinder sich mit eingezogenem Schwanz davonschlichen, dann würde Lacy ihm eben drohen.
Sie strich Peter die Haare aus dem Gesicht und sah seine ungläubige Skepsis. Kein Wunder. Schließlich hatte seine Mutter so noch nie mit ihm gesprochen. »Drew ist ein Schläger. Ein Idiot, eine halbe Portion. Aber wenn er groß ist, wird er ein noch größerer Idiot sein. Und wenn du groß bist - dann wirst du etwas ganz Besonderes sein.« Lacy lächelte ihren Sohn strahlend an. »Eines Tages, Peter, wird womöglich jeder deinen Namen kennen.«
Auf dem Schulhof standen zwei Schaukeln, und manchmal musste man warten, bis man drankam. Wenn er warten musste, betete Peter immer, dass er nicht die Schaukel erwischte, die von den Fünftklässlern um die obere Stange geschleudert worden war. Bei der war der Sitz nämlich unglaublich hoch über der Erde, und man kam nur mit Mühe drauf. Er hatte Angst, er würde beim Hochklettern runterfallen oder, was noch peinlicher wäre, er würde es gar nicht draufschaffen.
Wenn er mit Josie wartete, nahm sie immer die Schaukel mit dem hohen Sitz. Sie tat so, als fände sie die toll, aber Peter wusste, dass sie nur so tat, als wüsste sie nicht, wie wenig toll er sie fand.
Peter blickte manchmal in den blauen Himmel und stellte sich vor, wie wunderbar es sein musste, von anderen gemocht zu werden. Nicht nur von Josie.
Alex brauchte zwei ganze Tage zum Ausfüllen der Bewerbungsformulare, und während sie damit beschäftigt war, passierte etwas Bemerkenswertes: Sie war sich auf einmal völlig sicher, dass sie wirklich Richterin werden wollte. Ungeachtet ihrer früheren Bedenken, wusste sie, dass sie die richtige Entscheidung traf.
Einige Zeit später bekam Alex eine Einladung der Auswahlkommission, deren Aufgabe es war, eine kurze Kandidatenliste für die Gouverneurin, die die Richter ernannte, zusammenzustellen.
Die Auswahlgespräche fanden traditionell in der alten Gouverneursvilla Bridges House in East Concorde statt. Die zwölf Kommissionsmitglieder waren Anwälte, Polizeibeamte und Repräsentanten von Hilfsorganisationen für die Opfer von Verbrechen. Sie blickten Alex so forschend an, dass sie das Gefühl hatte, ihr Gesicht würde verglühen. Dass sie die halbe Nacht auf gewesen war, weil Josie nicht wieder einschlafen konnte, nachdem sie aus einem Albtraum mit einer Boa constrictor aufgeschreckt waren, tat ein Übriges. Alex wusste nicht, wer ihre Konkurrenten waren, aber bestimmt keine alleinerziehenden Mütter, die nachts um drei mit einem Zollstock zwischen den Rippen eines Heizkörpers herumstocherten, um zu beweisen, dass sich dort keine Schlangen verkrochen hatten.
»Mir gefällt das Tempo«, entgegnete sie vorsichtig auf eine Frage. Bestimmte Antworten wurden einfach von ihr erwartet, das wusste
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