19 Minuten
nicht auf sie.«
»Und da hast du getan«, sagte Alex, »was du in der Situation für das Beste gehalten hast?«
»Ja. Für Peter.«
»Stell dir vor, du würdest das bei allen Dingen so machen. Das geht nicht. Deshalb gibt es Regeln. Du darfst gegen die Regeln nicht verstoßen, auch nicht, wenn es so aussieht, als würden das alle anderen machen. Denn wenn du das machst - wenn wir alle das machen - dann wird die Welt ganz schrecklich. Eine Welt, in der Kinder auf dem Schulhof verprügelt werden. Statt das Beste zu tun, müssen wir uns manchmal entscheiden, das Richtige zu tun.«
»Wo ist der Unterschied?«
»Das Beste ist das, was du meinst, was getan werden sollte. Das Richtige ist das, was getan werden muss - wenn du nicht nur an dich denkst und daran, was du meinst, sondern auch alles andere berücksichtigst - wer noch beteiligt ist und was vorher passiert ist und wie die Regeln sind.« Sie blickte Josie an. »Wieso hat Peter sich denn nicht gewehrt?«
»Er hatte Angst, er kriegt Ärger.« In Josies Wimpern klebten Tränen. »Bist du mir böse?«
Alex zögerte. »Ich bin böse auf die Lehrerin, die Pausenaufsicht hatte. Sie hätte entschiedener einschreiten müssen. Und ich finde es nicht gerade toll, dass du einem Jungen eins auf die Nase gegeben hast. Aber ich bin stolz auf dich, weil du dich für deinen Freund eingesetzt hast.« Sie gab Josie einen Kuss auf die Stirn. »So, jetzt zieh dir Sachen an, die keine Löcher haben, du Wonder Woman.«
Als Josie in ihr Zimmer verschwand, blieb Alex noch auf dem Badezimmerboden sitzen. Ihr kam der Gedanke, dass es in der Rechtsprechung eigentlich in erster Linie darum ging, präsent und engagiert zu sein - was man von der Aufsichtslehrerin auf dem Schulhof nicht behaupten konnte. Man konnte bestimmt sein, ohne sich herrisch zu geben. Man konnte sich bemühen, die
Regeln genau zu kennen. Man konnte alle Beweismittel in Erwägung ziehen, ehe man eine Entscheidung traf.
Sie stand auf, ging nach unten zum Telefon und wählte eine Nummer. Whit meldete sich beim dritten Klingeln, und Alex begrüßte ihn mit den Worten: »Okay. Sagen Sie mir, was ich tun muss.«
Der Stuhl war viel zu klein für Lacys Po. Ihre Knie passten nicht unter den Tisch. Die Farben an den Wänden waren ihr zu bunt, und die Lehrerin ihr gegenüber kam ihr blutjung vor. »Mrs. Houghton«, sagte die Lehrerin, »ich wünschte, ich hätte eine bessere Erklärung, aber manche Kinder sind einfach dazu prädestiniert, von anderen geärgert zu werden. Sie zeigen Schwäche und werden schikaniert.«
»Inwiefern zeigt Peter denn Schwäche?«, fragte Lacy.
Die Lehrerin lächelte. »Ich sehe das gar nicht als Schwäche. Er ist sensibel, und er ist lieb. Er gehört eben nicht zu denen, die mit den anderen Jungs rumtoben, sondern sitzt lieber mit Josie in einer Ecke und malt. Das kriegen die anderen Kinder in der Klasse natürlich mit.«
Lacy sah die junge Lehrerin fragend an.
»Wir dulden die Schikanen der anderen Jungs selbstverständlich nicht«, versicherte die Lehrerin. »Wenn wir dergleichen mitbekommen, reden wir mit den Übeltätern und schicken sie in besonders heftigen Fällen zur Schulleiterin. Leider erzielen wir damit manchmal die gegenteilige Wirkung. Die Jungs geben Peter die Schuld, wenn sie bestraft werden, und lassen ihre Wut dann wieder an ihm aus.«
Lacy spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde. »Und was gedenken Sie persönlich, dagegen zu unternehmen?«
»Ich ermutige Peter, sich zu wehren. Wenn jemand ihn herumschubst oder hänselt, soll er sich das nicht einfach gefallen lassen, sondern mit ein paar passenden Worten reagieren.«
Lacy blinzelte. »Ich ... ich verstehe nicht ganz. Wenn einer ihn schubst, soll er zurückschubsen? Wenn einer sein Sandwich auf die Erde schmeißt, soll er es ihm mit gleicher Münze heimzahlen?«
»Natürlich nicht -«
»Soll das heißen, wenn Peter sich in der Vorschule sicher fühlen will, muss er sich in Zukunft genauso verhalten wie die Jungs, die ihm das Leben hier schwer machen?«
»Nein, ich will Ihnen nur die Realität vor Augen führen«, erwiderte die Lehrerin. »Sehen Sie, Mrs. Houghton. Ich kann Ihnen sagen, was Sie hören wollen. Dass Peter ein wunderbarer Junge ist, was stimmt, dass die Schule Toleranz lehrt und die Jungs bestraft, die ihn schikanieren, und dass das genügt, um das Problem aus der Welt zu schaffen. Aber die traurige Wirklichkeit sieht nun mal anders aus: Es wird nur aufhören, wenn Peter seinen Teil dazu beiträgt.«
Lacy
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