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19 Minuten

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Titel: 19 Minuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Angst.«
    »Supermom«, flüsterte Josie.
    »Aber ich hab Angst, dich zu verlieren«, sagte Alex. »Ich habe Angst, dass es schon passiert ist.«
    Josie starrte sie einen Moment lang an. »Ich habe auch Angst, mich zu verlieren.«
    Alex setzte sich auf und strich Josie eine Haarsträhne hinters Ohr. »Komm, wir fahren irgendwo was essen.«
    Josie erstarrte. »Ich will aber nicht.«
    »Schätzchen, es würde dir guttun. Das ist wie eine Physiotherapie, nur für den Verstand. Uberlass dich bewusst dem Alltagstrott, und irgendwann merkst du, dass alles wieder wie von allein geht.«
    »Du verstehst das nicht...«
    »Wenn du es nicht versuchst, Jo«, sagte sie, »dann bedeutet das, er gewinnt.«
    Josies Kopf fuhr hoch.
    »Hattest du eine Ahnung?«, hörte Alex sich selbst fragen.
    »Eine Ahnung?«
    »Dass er so was tun könnte?«
    »Mom, ich will nicht -«
    »Ich muss dauernd dran denken, wie er als kleiner Junge war«, sagte Alex.
    Josie schüttelte den Kopf. »Das ist so lange her«, murmelte sie.
    »Ich weiß. Aber manchmal hab ich wieder vor Augen, wie er dir das Gewehr in die Hand gedrückt -«
    »Wir waren kleine Kinder«, fiel Josie ihr ins Wort, und Tränen schossen ihr in die Augen. »Wir waren dumm.« Sie schlug jäh die Decke zurück und stand auf. »Ich dachte, du willst was essen fahren.«
    Alex blickte sie einfach nur an.
    Minuten später saß Josie neben Alex auf dem Beifahrersitz. Sie schnallte sich an, zog dann ruckartig am Gurt, um sich zu vergewissern, dass er zuverlässig arretierte.
    Alex fuhr absichtlich die längere Strecke, die nicht an der Schule vorbeiführte, und kurz darauf hielt sie auf dem Parkplatz vor einem Diner. Auf der Straße herrschte reges Treiben - Leute kamen mit Einkaufstaschen aus Geschäften, andere waren auf dem Weg zur Post, einige telefonierten mit ihrem Handy oder machten einen Schaufensterbummel. »So«, sagte Alex und drehte sich Josie zu. »Wie machen wir uns?«
    Josie blickte auf ihre Hände im Schoß. »Ganz gut.«
    »Ist nicht so schlimm, wie du dachtest, oder?«
    »Noch nicht.«
    »Meine Tochter ist eine Optimistin.« Alex lächelte sie an. »Sollen wir uns ein Clubsandwich und einen Salat teilen?«
    »Wie wär's, wenn wir uns erst mal die Speisekarte ansehen?«, sagte Josie, und sie stiegen aus dem Wagen.
    Plötzlich fuhr ein verrosteter Dodge an der Kreuzung in der Nähe bei Rot über die Ampel und raste mit einer lauten Fehlzündung davon. »Idiot«, knurrte Alex, »ich hätte mir das Kennzeichen merken sollen ...« Dann merkte sie, dass Josie verschwunden war. »Josie!«
    Und da sah Alex ihre Tochter flach auf dem Gehweg liegen. Sie war kalkweiß im Gesicht und zitterte am ganzen Körper.
    Alex kniete sich neben sie. »Es war bloß ein Auto. Eine Fehlzündung. Bloß ein Auto.« Sie half Josie auf die Knie. Um sie herum lugten Passanten verstohlen herüber.
    Alex schirmte Josie gegen die neugierigen Blicke ab. Schon wieder hatte sie versagt. Sie musste an etwas denken, das sie bei ihren Recherchen im Internet gelesen hatte - dass Traumatisierte einen Schritt nach vorn machen konnten und dann auf einmal wieder drei zurück. Sie fragte sich, warum auf keiner Webseite irgendwas davon gestanden hatte, dass es bis ins Mark wehtat, einen geliebten Menschen leiden zu sehen. »Okay«, sagte Alex und hielt Josie fest im Arm. »Fahren wir wieder nach Hause.«
    Patrick lebte, aß und schlief seinen Fall mittlerweile. Auf dem Präsidium gab er sich gelassen und kompetent - schließlich hatte er das Sagen -, doch zu Hause stellte er jede getroffene Entscheidung infrage. Am Kühlschrank klebten die Fotos der Toten; am Badezimmerspiegel hatte er mit einem Markierstift den chronologischen Ablauf der Ereignisse am verhängnisvollen Tag aufgezeichnet. Mitten in der Nacht saß er da und notierte sich Listen mit Fragen: Was hat Peter zu Hause gemacht, ehe er zur Schule ging? Wo hat er schießen gelernt? Wie kam er an die Waffen? Woher rührte sein Zorn?
    Tagsüber durchforstete er die gewaltigen Mengen an Informationen, die gesammelt worden waren und der Bearbeitung harrten. Jetzt saß ihm Joan McCabe gegenüber. Sie trocknete sich mit einem Papierhandtuch die Tränen. »Entschuldigen Sie«, sagte sie zu Patrick.
    »Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie extra hergekommen sind, um mit mir über Ihren Bruder zu sprechen«, sagte er sanft.
    Ed McCabe war der einzige Lehrer unter den Todesopfern. Er hatte in einem Klassenraum unterrichtet, der oben an der Treppe auf dem Weg zur Sporthalle lag,

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