1902 - Bei den Setchenen
anheimelnder Bau mit vielen Etagen, Kanzeln und Tempelnischen, wo jede Setchene ihren Platz fand, um nachzudenken oder sich einfach nur treiben zu lassen. Genau im Zentrum des Baus erhob sich der Haupttempel mit der großen, aufwendig verarbeiteten Gosaran-Skulptur, Versammlungsort für zeremonielle Anlässe oder Predigten.
Tebb war nur einmal dort gewesen, aber sie zehrte noch heute davon. Sie war nicht sonderlich religiös, aber die Atmosphäre, die Gerüche und die Bilder dieses Tempels blieben als heilige Erinnerung in ihrem Gedächtnis verhaftet und machten ihr Mut, wenn sie verzagen wollte.
„Und?" fragte Tebb ungeduldig, als Kobb die Sprechpause absichtlich immer länger hinauszögerte, um die Spannung auf die Spitze zu treiben.
„Sie wollen alle dorthin, um in einer großen Versammlung ein Tempellied zu scharfen", antwortete die Konkurrentin endlich. „Eine riesige Veranstaltung, verstehst du, und gleichzeitig soll dort ein Partnerschafts-Markt stattfinden. Es sind einige Familien aufgefordert worden, ebenfalls mit ihren männlichen Nachkommen dorthin zu kommen." .
Tebb fühlte Zorn in sich aufsteigen. Weshalb wußte sie nichts davon? Sie hatte den Handelsvorsitz und doch sonst sehr gute Quellen - wie konnte bisher nichts davon zu ihr durchgesickert sein? Wie konnte ausgerechnet ihre einzige Feindin dieses gewaltige Geschäft machen? Am liebsten hätte sie das Visifon mit einem Faustschlag zertrümmert, aber sie durfte sieh weiterhin keine Blöße geben.
Dennoch mußte sie zugeben, daß sie bisher keine Ahnung davon gehabt hatte. „Seit wann steht der Termin fest?" fragte sie langsam. Das war immer noch die unverfänglichste Frage, und sie verlor nicht ganz ihr Gesicht. .„Öffentlich bisher überhaupt nicht", unterrichtete die Konkurrentin sie vergnügt. „Offen gestanden, es ist alles erst in der Planung, noch nicht einmal die jeweiligen Mitarbeiter wissen davon. Ich kenne nur zufällig eine Setchene, die ganz oben in der Verwaltung arbeitet, und diese hat es mir erzählt."
Also war es ihr doch nicht einfach entgangen, Kobb hatte nur zufällig die bessere Quelle gehabt. Ein wenig war Tebb getröstet. Trotzdem würde sie noch einige Zeit an dieser schweren Niederlage nagen müssen.
„Inoffiziell wird der Flug bereits in wenigen Tagen stattfinden", fuhr Kobb fort. „Ich bin sicher, daß sie das Vorhaben so schnell durchführen werden, auch wenn das Budget dafür noch nicht abgesegnet ist. Das ist aber noch eine Frage weniger Stunden, und dann werden sie bald zur größten Versammlung der Geschichte aufbrechen - und das ist das beste für uns, Tebb!"
Tebb blinzelte. „Für uns?"
„Ja, ich spreche von dir und mir. Für das Unternehmen werden in jedem Fall vier Fähren benötigt. Die Oberhäupter fliegen gesondert mit einer ihrer DRYTORN-B-Raketen, aber das sogenannte einfache Volk soll mit uns fliegen. Mein Problem ist: In den nächsten Wochen habe ich nur zwei Fähren frei. Ich brauche also deine Hilfe."
Tebbs Mißtrauen wuchs in dem Maße, wie sie ihre Beteiligung an dem Geschäft begriff.
Weshalb sollte Kobb ausgerechnet auf ihre härteste Konkurrentin zukommen? ,- Als hätte sie genau diese Frage gehört, sagte Kobb: „Ich will ganz ehrlich sein: Mir ist klar, daß die Familien in erster Linie dich haben wollen. Aber ich hätte in keinem Fall meinen Vorteil ungenutzt gelassen, daß ich von der Sache früher wußte als du. Ich hätte also ein Angebot eingereicht, bevor sie an dich herangetreten wären, und zwar garantiert billiger als du. Ich hätte alles darangesetzt, den Auftrag zu erhalten. Da ich aber nun einmal Unterstützung brauche, trete ich von mir aus an dich heran, denn dein guter Ruf und mein guter Preis sind gemeinsam unschlagbar, sie werden sofort zugreifen.
Umgehend nach unserem Gespräch werde ich mich mit ihnen in Verbindung setzen, so daß unsere Zusammenarbeit gewährleistet ist. Das wäre doch vielleicht einmal ein Anfang für eine gemeinsame Zukunft, denn irgendwann wäre hier nicht mehr genug Platz für uns beide."
„Er ist jetzt schon sehr klein", entgegnete Tebb trocken. „Also stellst du dir vor, daß jede von uns zwei Fähren organisiert. Und wie hast du dir den Profit vorgestellt?"
„Alles geht Halbe-Halbe; sowohl die Kosten als auch der Gewinn. Ich habe den Vertrag schon vorbereitet und schicke ihn dir auf elektronischem Wege gerade hinüber. Schau ihn dir in aller Ruhe an, du wirst sehen, daß kein Haken dahinter ist. Es muß einfach mal ein Anfang
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