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1913

1913

Titel: 1913 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Illies
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organisiert eine zweitägige Jagd, auf der Kaiser Wilhelm II . sage und schreibe eintausendeinhundert Fasane schießt. Er isst dann abends davon aber leider nur einen.
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    Im Atelier von Ludwig Meidner in der Wilhelmshöher Straße 21 in Berlin-Friedenau trifft sich mittwochabends ein illustrer Kreis zum Jour fixe: Jakob van Hoddis, der berühmte Dichter des Weltuntergangs, Paul Zech, René Schickele, Raoul Hausmann, Kurt Pinthus, Max Herrmann-Neiße. Zuvor zeigt der Hausherr den Gästen seine neuesten Werke. Er nennt sie »Apokalyptische Landschaften«. Sie folgen seinem Motto: »Mal deinen eignen Gram, deine ganze Verruchtheit und Heiligkeit Dir vom Leibe.« In Meidners Landschaften fliegt alles in die Luft. Er malt 1913 »Ich und die Stadt«, ein Gemälde, bei dem sein Kopf so zu explodieren scheint wie die Stadt dahinter. Und irgendwo oben hängt die Sonne, wackelnd, als falle sie gleich herab.
    Immer wieder überkommen Meidner diese Visionen des Grauens. Er arbeitet besessen, Tag und Nacht, in seinem kleinen Friedenauer Atelier und schreibt dazu: »Ein schmerzhafter Drang gab mir ein, alles Geradlinig-Vertikale zu zerbrechen. Auf alle Landschaften Trümmer, Fetzen und Asche zu breiten. Mein Hirn blutete in schrecklichen Gesichten. Ich sah nur immer einen Tausendreigen der Skelette tänzeln. Viel Gräber und verbrannte Städte durch die Ebene sich winden.«
    Die Städte brennen, die Gesichter der Menschen, auch das eigene, nur noch schmerzverzerrt, die Landschaft aufgebrochen durch Bomben und Krieg. Über allem geistert ein unheimliches Licht. Mit dem Pinsel scheint Meidner zu kämpfen gegen die unheimlichen Mächte, die ihn bedrohen. Er versucht, seine Albträume zu bannen, indem er sie ausbuchstabiert. Er macht ernst mit dem Kubismus und mit dem Expressionismus. Er nennt seine traumatischen Gemälde »Vision eines Schützengrabens« oder, immer wieder, »Apokalpytische Landschaft«. Er lebt, wie gesagt, im idyllischen Friedenau. Es sind warme, versöhnliche Oktobertage. Wir schreiben das Jahr 1913 . Seine Freunde, die ihn mittwochabends besuchen, sehen die Bilder und sorgen sich um deren Schöpfer. Ob er wohl wahnsinnig ist?
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    Einen Monat, nachdem das Luftschiff L 1 vor Helgoland ins Meer gestürzt ist, explodiert am 17 . Oktober das Militär-Luftschiff »L2« bei seinem Jungfernflug in Johannisthal bei Berlin. 28 Mann Besatzung sterben, als das brennende Wrack auf den Boden aufschlägt, ein Kiefernwald geht in Flammen auf, die Leichen der Soldaten an Bord sind verkohlt. Der Namensgeber, Graf Zeppelin, schreibt noch am selben Tag an Großadmiral von Tirpitz: »Wer könnte mehr ergriffen sein und tiefer mit der Marine trauern als ich.«
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    Wie es um Picassos Ruf und den der Moderne insgesamt bestellt war, erzählen die Rezensionen zu der im Herbst 1913 neueröffneten »Neuen Galerie« von Otto Feldmann in der Lennéstraße 6 a in Berlin. Diese Eröffnungsausstellung ist der bis heute übersehene Grund, warum die großen Franzosen wie Picasso und Braque nicht im parallel veranstalteten »Ersten Deutschen Herbstsalon« zu sehen waren. Kahnweiler, ihr Pariser Händler, wollte die Werke lieber verkaufen als ausstellen und sandte sie zur merkantilen Konkurrenzveranstaltung nach Berlin. Man muss die beiden Ausstellungen zusammensehen – dann hat man das gesamte künstlerische Repertoire des Jahres 1913 versammelt, vor allem auch deren Heroen. Denn neben den großen Franzosen zeigte Neumann auch »Negerskulpturen«, hellenistische Plastik und »Ostasiatika«. Die frühen Werke der fernen Kulturkreise, die in jener Zeit den größten Einfluss auf die Künstler hatten, wurden also unter die europäischen Werke gemischt – und Carl Einstein, der mit seinem Buch über »Negerplastik« berühmt werden sollte, schrieb das Vorwort. Eine faszinierende Werkschau des Status quo der französischen Kunst um 1913 also. Aber es zieht Kurt Glaser für die Zeitschrift »Die Kunst« über neue Kunstsalons in Berlin folgendes überraschende Fazit: »Von Matisse ist ein Stillleben ausgestellt, etwas dünn in der farbigen Wirkung. Picasso gehört eine ganze Wand und man hat den Eindruck, dass er hier zum Hausgötzen ernannt wurde. Vielleicht etwas verspätet, denn man sollte hoffen, dass der Lärm, der um diesen feinen, aber doch schwächlichen Künstler erhoben wurde, sich nun bald wieder legen wird.« Feldmann ließ sich davon nicht beirren. Direkt im Anschluss an seine Eröffnungsausstellung zeigte er im Dezember 66 Werke

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