1927 - Legende der Tujokan
schwarze Haut. Unsere Dirigenten hatten es versäumt, uns rechtzeitig auf den Unterschied aufmerksam zu machen. Als sie es merkten, war es bereits zu spät."
„Dann war alles umsonst?" Przondzu schrie es.
In einem Anfall von Panik griff er nach dem Rand der Wanne und wollte ins Bodenlose springen. Aber mit einem Arm und einem Bein schaffte er es nicht.
„Nichts war umsonst. Wir wissen jetzt, daß es gefährlich sein kann, über Jahrhunderte hinweg an Denkweisen und Prinzipien festzuhalten. Die Entwicklung überholt einen, und irgendwann wird man mit ihr konfrontiert und zerbricht daran."
Tfenlod beschleunigte den Vierach und lenkte ihn in das Zentrum der Stadt zurück. Die Gassen und Gebäude kamen Przondzu vertraut vor, aber er benötigte dennoch einige Zeit, bis er das Ziel erkannte.
„Du bringst mich zu den Dirigenten!"
„Die Direktion war doch dein Ziel. Oder habe ich mich getäuscht?"
„Nein, nein. Aber was soll ich dort?"
„Antwort auf alle Fragen einholen. Sei guten Mutes! Sie werden sie dir beantworten.
Sie werden etwas tun, was sie zuvor noch nie unternommen haben. Nach dir werden auch alle Mitglieder unseres Volkes erfahren, was vor langer Zeit geschah."
Przondzu sank in sich zusammen. „Das Zeitalter der Gonsel ist vorüber. Ich sterbe."
„Unsinn. Es wird die Kämpfer weiterhin geben. Eine winzige Möglichkeit besteht ja trotz allem, daß die Schwarzhäutigen mit dem Namen Korrago eines Tages doch noch zurückkehren könnten. Doch mit jedem Tag, den Tup auf uns herabscheint, wird es unwahrscheinlicher. Der Tag der Vergeltung wird voraussichtlich nie stattfinden."
Przondzu stöhnte und lehnte sich gegen die Wandung des Vierachs. „Begreifst du jetzt, was ich damals meinte?" fuhr Tfenlod fort. „Als ich sagte, daß wir für den Ernstfall trainieren und doch alles tun, damit er nie eintreten wird?"
Ein müdes Wackeln mit dem Kopf - mehr brachte Przondzu nicht zustande. Seine Blicke verschleierten sich. Erst als der Vierach in einem der Innenhöfe der Direktion landete, klärte sich das Bewußtsein des Gonsels. Unter einem der Eingänge wartete eine kleine, ausgemergelte Gestalt. Er kannte sie von den Porträts, die in ihrem Privathaus hingen.
Es war Kladdertosch, der Dirigent. Der Vater jener bezaubernden Frau, die bald Przondzus Kinder zur Welt bringen würde.
Tfenlod öffnete den Einstieg, und der Kämpfer verließ umständlich das Fahrzeug. Das eine Bein war durch den Lehm völlig steif, das andere fühlte sich an, als bestünde das Kniegelenk aus Gummischwämmen. ,„Reiß dich zusammen!" zischte der Ausbilder hinter seinem Rücken. „Oder willst du unsere Einheit blamieren?"
Przondzu straffte sich ein wenig und achtete nicht auf die Schmerzen, die das Gehen ihm bereitete. Mit der Grazie eines Schlammtramplers aus den Fernen Sümpfen humpelte er auf den Dirigenten zu.
Diesmal fiel ihm keine Leiche entgegen. Niemand raunte ihm eine Warnung zu. Diesmal würde er alles erfahren, was sein Volk über die Vergangenheit wußte.
Und danach, so begriff Przondzu bereits jetzt, konnte die Welt nicht mehr so sein wie bisher.
„Komm herein", sagte Kladdertosch freundlich. „Tritt über diese Schwelle, dann beginnt für uns alle eine neue Zukunft."
Beim Urlaich, dachte Przondzu. Wer in meinem Volk wird das verstehen? Er war sich nicht einmal sicher, daß er selbst es begriff.
ENDE
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