196 - Auf der Flucht
zwar gewunden, aber schnurstracks durch die Felsen, genau wie Vogler gehofft hatte.
Streckenweise musste er sich kriechend fortbewegen, aber zumeist konnte er fast aufrecht gehen.
Da war es wieder. Kam näher. Zu dem leise zischenden Atem gesellte sich jetzt ein Kratzen und Schaben. Irgendeine Kreatur, die hier lebte und frisches Fleisch witterte?
Vogler hatte keine Waffe, und mit seiner Muskelkraft war es auch nicht mehr weit her. Er konnte nur hoffen, dass das Wesen kleiner war als er und ausnahmsweise nicht giftig, und dass seine Zähne nicht größer waren als der Nagel des kleinen Fingers.
Angespannt ging Vogler weiter, die mentalen Fühler ausgestreckt, aber er konnte nichts empfangen. Jeden Moment erwartete er den Überfall.
Aber nichts geschah. Das Schnaufen, Kratzen und Schaben entfernte sich wieder. Vogler atmete erleichtert aus und beschleunigte das Tempo. Er hielt sich schon lange genug hier unten auf.
Wenigstens sparte er Wasser. Der Sonnenbrand wurde ihm allerdings umso deutlicher bewusst; jeder kühle Lufthauch verursachte ein unangenehmes Ziehen, und seine Haut war glühend heiß. Doch darauf konnte der Waldmann nicht achten, er musste lernen, sich damit abzufinden. So hatte es ihn sein Vater gelehrt: alle körperliche Unbill willkommen zu heißen und hinzunehmen, sie als Teil von sich selbst zu betrachten.
Der Gang wurde niedriger, enger und dunkler. Inzwischen war Vogler schon so weit vorgedrungen, dass eine Umkehr ihn viele Stunden kostbare Zeit kosten würde. Er hoffte und bangte, dass der alte Flusslauf nicht irgendwo verschüttet war oder hinter einem Schlupfloch im Felsen verschwand.
Ächzend zwängte er sich auf allen Vieren durch einen Spalt, der selbst für marsianische Verhältnisse schmal war, und kroch unter einem niedrigen Felsen hindurch.
Schlagartig befand er sich in absoluter Dunkelheit, und zig Tonnen Felsgestein ruhten über ihm. Es war so eng, dass er mit dem Rücken an dem kühlen feuchten Felsen entlang schrammte.
Die Vorstellung, stecken zu bleiben und nicht mehr vor und zurück zu können, war wenig erfreulich. Noch weniger erfreulich die lebhafte Phantasie herabstürzenden Gesteins, das ihn zu Tode quetschte.
Vogler streckte die Hand aus und griff in etwas Weiches.
Sofort zuckte er zurück, und dann spürte er, wie etwas über seine Hand wuselte. Haarig, borstig, vielbeinig und unangenehm.
Nur die Ruhe, das ist kein Problem , redete er sich gut zu, während sich ein sehr realer Horror zu den Phantasien gesellte, und er robbte hastig weiter. Wenn dieser Engpass nur bald ein Ende nähme! Er konnte nicht mehr zurück. Den ganzen Weg rückwärts kriechen, das würde er nicht schaffen, und umdrehen war unmöglich. Also weiter, weiter!
Wieder wuselte etwas über seine Hand. Beide Hände. Die Arme.
Die Beine. Über den Nacken.
Vogler, ein ausgeglichener, mutiger und beherrschter Mann, stand kurz vor einem hysterischen Schreikrampf. Sicher, das Baumvolk des Mars stand in enger Beziehung und Harmonie zur Natur. Aber das ging zu weit. Was zu viel war, war zu viel.
Vogler schluckte energisch alles hinunter, trotzdem quetschte sich ein lang gezogenes Stöhnen zwischen seinen Zähnen hindurch. Das Wuseln wurde immer intensiver, fing an, in seine Körperöffnungen zu tasten und zu bohren: Augen, Nase, Ohren, Mund. Vogler röchelte und kroch verzweifelt weiter, spürte ein Zwicken und Kneifen. Er fühlte, wie etwas Warmes seine Wade hinab rann, und gleich darauf ein fürchterliches Brennen. Wie das Verdauungssekret eines Insekts.
Er konnte sich nicht wehren, hatte keine Chance. Außer weiter zu kriechen, solange er noch konnte, und die Hoffnung nicht aufzugeben, dass es einen Ausgang gab.
Weiter, weiter.
Clarice, das tu ich nur für dich.
Weiter, weiter…
***
Das Erste, was Yunupi wahrnahm, war das bedrückende Gefühl von Enge. Und das Fehlen der alles versengenden Helligkeit. Der Jüngling schlug die Augen auf und blickte auf das poröse Grau einer steinernen Zimmerdecke. Auch Wände und Boden des wenige Schritte großen Raums waren aus Stein.
Mühsam richtete Yunupi sich auf.
Dämmriges Licht fiel durch die Spalten eines Vorhangs in den fensterlosen Raum. Es war angenehm kühl. Über Yunupis Beine hatte jemand eine bunt bestickte Decke gelegt. Er war gewaschen, und seine Wunden waren versorgt. Das Brennen in seiner Kehle war verschwunden. Stattdessen schmeckte er einen Hauch von Süße.
»Träume ich? Bin ich bereits hinübergegangen?« Yunupi strich sich über
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