1976 - Das Jesus-Papier
Es war kurz nach acht. Zeit, mit Greene in Verbindung zu treten. Am vergangenen Abend hatte er das nicht riskieren dürfen. Adrian und seine Zivilisten bemühten sich darum, einen unbekannten Offizier ausfindig zu machen, der im Pentagon tätig war. Man durfte keiner Telefonleitung vertrauen. Er und Marty würden persönlich miteinander sprechen müssen. Sie konnten nicht auf ihre nächste planmäßige Sitzung warten. Und er würde, noch ehe der Tag geendet hatte, in einer Maschine nach Saigon sitzen.
Sie waren übereingekommen, sich nie zusammen sehen zu lassen. Wenn sie sich zufällig bei einer Konferenz oder auf einer Cocktailparty begegneten, taten beide so, als begegneten sie sich zum erstenmal. Es war sehr wichtig, daß die Verbindung zwischen ihnen nicht bekannt wurde. Wenn sie zusammentrafen, dann immer an abgelegenen Orten und immer nach einem vorher vereinbarten Zeitplan. Während der Gespräche pflegten sie alle Informationen, die sie im Laufe der Woche den Akten des Pentagons entnommen hatten, aufeinander abzustimmen, dann die einzelnen Blätter in einen Umschlag zu stecken, ihn zu verkleben und an ein Schließfach in Baltimore zu schicken. Die Feinde des Eye Corps wurden überall katalogisiert.
In Notzeiten oder wenn einer sofort den Rat des anderen benötigte, verständigten sie einander, indem sie »Falsch-verbunden«-Gespräche über die Zentrale des Pentagons führten. Das war das Signal, unter irgendeinem Vorwand das Büro zu verlassen und sich zu einer Bar in der Innenstadt von Washington zu begeben. Andrew hatte das »Falsch-verbunden«-Gespräch vor zwei Stunden geführt.
Die Bar war finster, primitiv und doch irgendwie grell, mit Nischen ganz hinten, von denen aus man den Eingang deutlich überblicken konnte. Andrew saß in einer Nische an der Wand und spielte mit seinem Glas Bourbon, interessierte sich sichtlich nicht dafür. Er blickte immer wieder zu dem vielleicht fünfzehn Meter entfernten Eingang hinüber. Jedesmal, wenn die Tür sich öffnete, fiel kurz das Licht der Morgensonne herein, wie ein Eindringling, der die herrschende Finsternis vertreiben wollte. Greene hatte sich verspätet; das paßte gar nicht zu ihm.
Die Tür öffnete sich wieder, und die Silhouette eines kräftig gebauten, muskulösen Mannes mit breiten, dicken Schultern stand plötzlich wie geblendet mitten im Licht. Es war Marty. Er trug anstelle der Uniform ein offenes weißes Hemd und, wie es schien, Karohosen. Er nickte dem Barkeeper zu und ging auf das hintere Ende der Bar zu. Alles an Greene wirkte kraftvoll, fand Andrew. Von seinen dicken Beinen bis zu der hellroten Mähne, die kurz gestutzt war, wie die Marines ihr Haar zu tragen pflegten.
»Tut mir leid, daß es so lange gedauert hat«, sagte Greene und schob sich Andrew gegenüber in die Nische. »Ich war kurz zu Hause, um mich umzuziehen. Dann bin ich zum Hintereingang wieder hinausgegangen.«
»Aus einem besonderen Grund?« »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Gestern abend habe ich den Wagen aus der Garage geholt und dachte mir schon, hinter mir wäre ein Überwachungsfahrzeug - ein dunkelgrüner Electra. Ich wechselte die Richtung, aber er war immer noch da. Dann bin ich nach Hause gefahren.«
»Um welche Zeit war das?«
»Gegen halb neun, Viertel vor neun, vielleicht.«
»Ja, das würde passen. Deshalb habe ich Sie angerufen. Die erwarten von mir jetzt, daß ich mit jemandem in Ihrer Abteilung Verbindung aufnehme, eine Besprechung einberufe. Wahrscheinlich haben die ein halbes Dutzend andere auch beschatten lassen.«
»Wer?«
»Einer von ihnen ist mein Bruder.«
»Ihr Bruder?«
»Er ist Anwalt. Er arbeitet mit...«
»Ich weiß genau, wer er ist«, unterbrach ihn Greene. »Und mit wem er arbeitet. Daß die zurückhaltend sind, kann man nicht gerade sagen.«
»Mir gegenüber haben Sie ihn nie erwähnt. Wie kommt das?«
»Dazu gab es keinen Anlaß. Das sind ein paar Hitzköpfe, drüben im Justizministerium. Ein Neger namens Nevins hat sie organisiert. Wir behalten sie im Auge. Sie stochern zuviel in den Geräteverträgen herum. Aber mit uns haben sie nichts zu tun.«
»Jetzt schon. Deshalb habe ich Sie angerufen. Einer von den sechs in Vietnam hat geplaudert. Die haben jetzt eine eidesstattliche Erklärung. Eine Liste. Acht Offiziere, sieben davon identifiziert.«
Greenes kalte Augen wurden schmal. Er sprach langsam und ganz leise. »Was, zum Teufel, wollen Sie damit sagen?«
Andrew sagte es ihm. Als er geendet hatte, meinte Greene, ohne
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