198 - In der Spiegelwelt
Spiegelwelt lebte, aber Frank Esslin hatte eine besondere Entwicklung hinter sich, und das mußte seiner Meinung nach auch irgendwie in diesem Reich seinen Niederschlag gefunden haben. Der Klumpige hatte tatsächlich schon von Frank Esslin gehört.
»Wo ist er?« wollte Mr. Silver ungeduldig wissen.
Schwäche befiel den Wächter.
»Rede!« drängte ihn der Ex-Dämon.
Die verbleibenden Augen des Klumpigen begannen zu flackern.
»Wo befindet sich Frank Esslin?« schrie Mr. Silver den Feind an.
»Im… Spiegelturm… bei… Atax«, antwortete der Wächter mit ersterbender Stimme.
»Wie kommen wir dorthin?«
»Alle… Straßen… führen… zum… Turm… Er… steht… im… Zentrum.« Der Wächter nahm sich noch einmal zusammen. »Aber ihr kommt nicht an Frank Esslin heran…« röchelte er.
»Wird er bewacht?«
Ein Auge nach dem anderen schloß sich. Der sterbende Wächter rollte auf den Rücken, wurde flach wie ein zweidimensionales Bild. Die dritte Dimension, sein Leben, hatte ihn verlassen.
***
Die Grufties betraten den abendlichen Friedhof. Die geliehenen Walkietalkies hatten sie bereits draußen ausprobiert. Sie funktionierten und waren einfach zu bedienen. Larry Burnett war auf dem Mount Zion Cemetery »zu Hause«. Er führte seine beiden Freunde dorthin, wo die Gruftie-Treffen bisher immer abgehalten worden waren.
Holger Altmann ließ den Blick über die in der Dunkelheit aufragenden Grabsteine und Kreuze schweifen. Der Mond war fast voll und die Sicht zufriedenstellend.
»Ob Cayooda jeden Tag hier ist?« murmelte der Deutsche.
»Da bin ich ziemlich sicher«, antwortete Larry. »Wenn man ihn auch nicht immer zu sehen kriegt, so bin ich doch davon überzeugt, daß er sich auf diesem Friedhof herumtreibt.« Er schlug vor auszuschwärmen. »Haltet die Augen offen, und geht kein Risiko ein. Wer den Alten zuerst sieht, ruft sofort die anderen, klar?«
Holger und Kevin nickten.
»Und was, wenn wir ihn heute nicht entdecken?« erkundigte sich Kevin Byrne.
»Dann versuchen wir unser Glück morgen noch mal«, antwortete Larry Burnett. »Wir müssen ihn unschädlich machen.«
Die Grufties trennten sich, um den Mount Zion Cemetery so gewissenhaft wie möglich durchzukämmen. In der einen Hand das Walkie-talkie, in der anderen den mit geweihten Silberkugeln geladenen Revolver, schlichen sie durch den mondhellen Abend. Holger Altmann fühlte sich in der Rolle des Dämonenjägers nicht sonderlich wohl. Er verschlang zwar geradezu solche Romane, aber ihm wäre nie in den Sinn gekommen, selbst einmal so etwas zu tun. Die Helden in den Romanen waren stets aus einem besonderen Holz geschnitzt und blickten auf eine reiche Erfahrung im Kampf gegen Höllenwesen zurück. Und im übrigen handelte es sich dabei bloß um spannende Geschichten, die ein Autor ersonnen hatte.
Oder?
Nun, das hier war jedenfalls die Wirklichkeit, und Holger war dementsprechend aufgeregt. All die vielen Monster, von denen er schon gelesen hatte, spukten ihm im Kopf herum.
Er versuchte sie zu verdrängen, um sich besser auf seine Aufgabe konzentrieren zu können. Richtig Angst hatte er nicht, er war nur sehr aufgeregt und hoffte, im entscheidenden Moment nicht zu versagen.
Es wäre ihm lieb gewesen, wenn seine Freunde den Alten aufgestöbert und erledigt hätten, denn er war nicht sicher, ob er die Härte aufbringen würde, auf den Mann zu schießen. Es sei denn, er entpuppte sich tatsächlich als gefährliches Ungeheuer und bedrohte sein Leben. Dann hatte er das Recht, von der Schußwaffe Gebrauch zu machen. Das war dann Notwehr, und die mußte ihm jedermann zugestehen. Dadurch hätte er sie auch vor sich selbst verantworten können.
Larry rief ihn. »Wie sieht’s bei dir aus, Holger?«
»Alles okay«, antwortete der Deutsche. »Und bei dir?«
»Auch nichts«, knurrte Larry. »Aber es wäre ein großer Fehler, dem Frieden zu trauen. Cayooda wiegt uns vielleicht nur in Sicherheit, um uns besser überraschen zu können.«
»Ich bleibe wachsam«, versprach Holger. »Du kannst dich darauf verlassen. Ende.«
***
Der Mount Zion Cemetery lag vor uns, und mir war, als würde er uns einen feindseligen Atem entgegenblasen. Noel Bannister hatte die Absicht, mir zunächst einmal die Stelle zu zeigen, wo Mona Farnsworth gelegen hatte.
Boram war bei uns. Die Dampfgestalt hob sich deutlich vom tiefen Schwarz einer Marmorgruft ab. Ich streifte den weißen Vampir mit einem kurzen Blick.
Es war immer ein beruhigendes Gefühl, ihn in der Nähe
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