1980 Die Ibiza-Spur (SM)
den Kopfhörern gekommen war, hoben sie den Plan A auf. Gleich nachdem sie sich nun also für den Plan B entschieden hatten, fuhren sie in ihrem grauen Lieferwagen mit gefälschtem Nummernschild zu einer wenige Kilometer entfernt gelegenen Müllhalde, um dort nach alten Autoreifen zu suchen. Sie fanden acht für ihren Zweck geeignete Exemplare. Daß sie von unterschiedlicher Größe waren, spielte keine Rolle, denn sie sollten lediglich als Sichtbarriere dienen.
Es war Nachmittag, als sie mit ihrer Ladung, über die sie eine Persenning gezogen hatten, nach Pasing zurückfuhren. Sie parkten das Fahrzeug in der Nähe ihres Appartements, aßen in einem Restaurant, gingen nach Haus und legten sich schlafen. Um drei Uhr in der Nacht standen sie auf, zogen dunkle Kleidung an, frühstückten und machten sich auf den Weg. Bis zur eigentlichen Aktion, dem Abfeuern des Schusses, hatten sie noch etliche Stunden Zeit, aber sie brauchten das Nachtdunkel, um unbeobachtet in Position gehen zu können. Schon lange vorher, als sie den Plan zum erstenmal erwogen, hatten sie hinter Alexander Pleskows Garten ein verlassenes Fabrikgebäude ausgekundschaftet, das ihnen für ihr Vorhaben geeignet erschienen war. Dieses dreistöckige Haus, von dessen Flachdach aus man eine gute Sicht auf die rückwärtige Terrasse des Pleskowschen Hauses hatte, steuerten sie nun an. Kurz vor vier parkten sie den Lieferwagen auf der von einer verwahrlosten, ungeschnittenen Hecke gesäumten Zufahrt. Das Haus war offen. Türen und Fenster gab es nicht mehr, nur die Mauern mit den Öffnungen und dahinter die leeren Räume. Und eine Treppe, jedenfalls die Stufen, das Geländer hatte man entfernt.
Sie brachten die Reifen nach oben und kamen dabei ins Schwitzen. Da sie kräftig waren und unter jedem Arm einen der schweren Pneus tragen konnten, schafften sie es mit nur zweimaligem Aufstieg. Als sie zum dritten Mal nach oben gingen, transportierten sie ihr kostbares Werkzeug, ein Steyr-Mannlicher-Repetiergewehr, Modell L, mit flachmontiertem Wetzlar-Fernrohr, ein Stativ und ein hochwertiges Zeiss-Glas. Herles trug den knapp drei Kilogramm schweren Stutzen und das Stativ, während Vetter sich den Feldstecher umgehängt hatte. Auf dem Dach legten sie die Geräte ab. Ihr Standort war gut gewählt. Nicht nur die Barriere der Autoreifen schützte sie, sondern auch das junge Blattgrün eines gewaltigen Kastanienbaumes, dessen weit ausladende Zweige bis über das Dach gewachsen waren.
Da sie noch reichlich Zeit hatten, verließen sie ihre Stellung, gingen in das oberste Stockwerk und legten sich auf den nackten Zementfußboden. Herles übernahm die erste Wache und ließ Knut Vetter schlafen. Nach zwei Stunden vertauschten sie die Rollen. Gegen halb neun aßen sie eine halbe Tafel Schokolade, rauchten eine Zigarette und gingen wieder nach oben. Obwohl der Anschlag, der ein Menschenleben kosten sollte, nun unmittelbar bevorstand, waren sie ganz ruhig. Sie fragten nicht nach Humanität und Moral, denn in der Zentrale waren sie auf blinden Gehorsam gedrillt worden. Sie hatten die Barriere unmittelbar an der Dachkante errichtet, und zwar drei nebeneinander stehende Türme, die beiden äußeren aus je drei und den inneren aus zwei Reifen. Im Hohlraum des mittleren Abschnitts stand das Stativ, auf das Rüdiger Herles nun mit behutsamen Bewegungen sein Gewehr montierte. Knut Vetter hockte derweil an der rechten Seite der Barriere und blickte an ihr vorbei auf das Haus, regulierte dabei die Schärfeneinstellung seines Fernglases. Auch Rüdiger Herles begann, als er die Montage beendet hatte, mit der Beobachtung der etwa hundert Meter entfernten Terrasse, stellte sein Zielfernrohr ein. Kurz nach neun Uhr, als die Sonne im Rücken der beiden zum Töten entschlossenen Männer aufgestiegen war und das observierte Haus wie mit einem Scheinwerferstrahl anleuchtete, entstand Bewegung auf der Terrasse. Es schienen sich optimale Bedingungen für das Attentat anzubahnen. Ein weißgekleideter Mann schob einen Rollstuhl nebst Insassen genau in die Lichtbahn hinein, stellte die Rückenlehne etwas schräger, verbeugte sich in Richtung auf die nun halb sitzende, halb liegende Gestalt und ging zurück ins Haus.
Die auf der Terrasse beobachteten Vorgänge hatten die beiden Männer veranlaßt, die Schärfeneinstellung ihrer Gläser nochmals zu korrigieren und sich das dargebotene Objekt mit äußerster Konzentration anzusehen. Dank der Qualität ihrer Linsen hatten sie trotz der weiten
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