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1980 Die Ibiza-Spur (SM)

1980 Die Ibiza-Spur (SM)

Titel: 1980 Die Ibiza-Spur (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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das Sterben aussah und wo es stattfand. Ja, er unterlag, wenn er an Victor und den Brunnen dachte, der übersinnlichen Vorstellung, das Sterben bleibe nicht beschränkt auf die furchtbaren Minuten des Todeskampfes, sondern dauere an oder wiederhole sich. Er wußte, mit einem sanften, an friedlichem Ort vollzogenen Sterben seines Bruders hätte er sich irgendwann abgefunden, doch mit der Kenntnis eines gewaltsamen Todes und eines so grauenhaften Grabes würde er niemals zur Ruhe kommen. Ich will da hinunter, sagte er sich, und sei es auch nur, um für alle Zukunft zu wissen. Dort liegt er nicht!
    Mit dem Entschluß kehrten die Kräfte zurück. Er ging weiter, ging langsam die Straße entlang, erreichte die Baustelle, setzte sich ins Auto, fuhr los. Nach einigen hundert Metern Fahrt durch das Geflecht enger Straßen kam er an einen Markt mit buntem, südländischem Leben. Er sah liebevoll aufgetürmte Pyramiden aus Orangen, frische Feigen, Zitronen, sah Berge kugelrunder Melonen, obendrauf eine einzelne, die aufgeschnitten war und mit ihrem rosa Fruchtfleisch lockte, wuchtige Papayas und flache Kisten voller Tomaten. Und dazwischen die Menschen, die einen, die mit aufwendigen Worten und Gesten ihre Waren anpriesen, die anderen, die zögernd nähertraten, mit Blicken und Händen prüften und dann ihre Körbe füllten. Ehe er sich’s versah, hatte er den Platz einmal umrundet. Aber er mochte sich noch nicht trennen von dem bunten Bild, fuhr denselben Weg ein’ zweites Mal. Diese Insel ist wirklich ein Paradies, dachte er. Wieso kommt es einem skrupellosen, unbelehrbaren Mann wie Guillermo Hentschel in den Sinn, auf ihr die Hölle zu errichten oder doch eine Stätte, auf der für andere die Hölle vorbereitet wird? Warum kann dieser Mann, der vielleicht, wer weiß, damals ein tapferer Frontoffizier gewesen ist, sich wider alle Menschlichkeit und Vernunft nicht damit abfinden, daß jene Zeit vorüber ist? Was wollen sie, diese Hentschels, diese aus dem Schreckensregiment Übriggebliebenen? Das Reich wiedererrichten, das so viel Leid über die Welt brachte? Wieso können sie nicht endlich, endlich still sein und ein Europa akzeptieren, das nicht nach ihrer Pfeife tanzt, und ein Deutschland, in dem sich’s leben läßt ohne Angst?
    Es muß, grübelte er weiter, während er nun abbog, um aus der Stadt hinauszufahren, zusammenhängen mit ihrer Unfähigkeit, Irrtümer einzugestehen. Ich glaube, das ist das Grundübel, ist die Ursache aller Zwietracht, im großen wie im kleinen, in den Völkern wie in den Familien, daß es immer Menschen gibt, die sich für fehlerlos halten und es nicht ertragen, wenn man ihnen Fehler nachweist. Was für ein Hochmut! Und welchen Schaden richten sie damit an! Sie setzen sich gegen jedes vernünftige Argument zur Wehr, weil ihr Dünkel sie daran hindert, Irrtümer einzugestehen, und oft wehren sie sich am Ende mit Gewalt.
    Victor, was mache ich mit Guillermo Hentschel, wenn ich erfahre, daß er dich ermorden ließ? Ich weiß, daß die Rache kein Weg ist. Und doch ist da etwas in mir, tief drinnen, das nie damit zurechtkommen würde, dich da unten zu wissen und ihn hier oben. Also werde ich, sollte ich deinen Leichnam finden, gar nicht anders können als die Hand gegen ihn erheben. Das muß ich tun. Weil du mein Bruder bist.

XVI.
    Sie saßen in ihrem Seat, waren unterwegs zum Golfclub ROCA LLISA. Auf dem Rücksitz lag ihr gesamtes Gepäck. Zwei im Laufe des Tages getroffene Entscheidungen hatten ihre Situation verändert.
    Beim Frühstück, nach seiner Fahrt zur Schneiderwerkstatt, hatte er Christiane recht gegeben. Der Aufenthalt im EL CASTILLO werde aller Wahrscheinlichkeit nach unergiebig bleiben, weil sie dort keine Nachforschungen anstellen könnten, ohne sich zu gefährden. Außerdem komme ihm die Doppelrolle des Hausherrn immer wieder in den Sinn, und er wolle nicht länger Gast sein unter dem Dach eines solchen Mannes. Christiane hatte erleichtert zugestimmt. So hatten sie ihre Sachen gepackt, waren um die Mittagszeit aufgebrochen, hatten aber, um weder Unwillen noch Mißtrauen zu erregen, an der Rezeption erklärt, sie gingen mit Freunden auf eine mehrtägige Segeltour nach Formentera und Mallorca und kämen wieder.
    Sie waren gegen zwei Uhr ins Café MONTESOL gefahren und hatten dort an einem der draußen am Boulevard stehenden Tische zu Mittag gegessen. Und dann, beim Espresso, war es ihm endlich gelungen, Christiane davon zu überzeugen, daß er in der kommenden Nacht den Weg allein

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