1981 - Richard
Stunden Belastungen auferlegt werden, die sonst nur in Monaten oder Jahren entstehen. Es sind natürlich keine mechanischen Belastungen, wie Biege- oder Bruchtest, sondern rein klimatische Beanspruchungen, wie sie zum Beispiel durch den Wechsel der Jahreszeiten entstehen. Es können fünfzig Sommer und Winter hintereinander simuliert werden, so dass das Material ständig besonders warmen oder kalten Temperaturen ausgesetzt wird, um es mal ganz einfach auszudrücken. Ein Ölgemälde ist im Laufe der Zeit solchen Klimabelastungen ausgesetzt. Neben den Temperaturschwankungen lassen sich auch unterschiedliche Luftfeuchtigkeitsverhältnisse einstellen, die im Verlaufe eines Jahres, beim Wechsel zwischen den Jahreszeiten, auftreten.«
»Das klingt einleuchtend«, sagte Edmund Linz. Er beugte sich zu der Schalttafel herunter und sah sich die Instrumente genauer an.
»Mit den Reglern können wir bestimmte Zyklen einstellen«, erklärte Konrad Schumann. »Es können bis zu zehn Jahre in weniger als einem Tag durchlaufen werden, je nachdem, wie komplex die Klimabedingungen sein sollen.« Er stutzte. »Aber wir haben noch einen Trick. Der Klimaschrank arbeitet mit Luftströmen. Wir haben etwas Dreck, Staub, Ruß und so etwas auf den Schrankboden verteilt. Ein Bild, das sich darin befindet, wird regelrecht eingestaubt. Wir lassen die Bilder immer in mehreren Zyklen altern. Nach der ersten Alterung holen wir ein Bild in der Regel aus dem Schrank und nehmen den Firnis ab, den wir zuvor natürlich auch aufgetragen haben. Dann erhält das Bild einen neuen Firnis und wir lassen es weiter in unserem Schrank altern.«
»Ihr Gauguin wurde von uns auch schon so behandelt«, ergänzte Sébastian. »Es war überhaupt das erste richtige Gemälde, das wir in dem Klimaschrank gealtert haben. Wir haben es wirklich perfekt hinbekommen.«
Edmund Linz überlegte, er konnte sich erinnern, in dem Laborgutachten etwas über eine frühere Firnisabnahme und auch über eine Oberflächenreinigung seines Gemäldes gelesen zu haben.
»Wie sind sie auf diese Methode gekommen, schließlich dient so ein Apparat doch ganz anderen Zwecken?«, fragte er schließlich.
»Mein Freund Sébastian hat in einer Fachzeitschrift über das Trocknen von Büchern gelesen. Die Bücher waren bei einem Brand mit Löschwasser durchnässt worden. Es handelte sich um die Bestände einer Bibliothek. Die Bücher wurden dann in einem Klimaschrank getrocknet. In dem Artikel wurde das Verfahren genau beschrieben, auch mögliche Effekte, die nicht beabsichtigt waren. Es wurde festgestellt, dass bei bestimmten Einstellungen des Klimaschrankes, das Papier der Bücher zu altern begann. Die Tinte auf den Buchseiten wurde regelrecht brüchig. Aber der entscheidende Hinweis, der uns auf den Klimaschrank gebracht hat, kam über einen Literaturbezug auf den Maler Han van Meegeren , der eben diesen Effekt ausgenutzt hatte, um gefälschte Ölgemälde altern zu lassen. Kennen sie Han van Meegeren aus Delft ?«
»Ja, seit gestern, er ist einer ihrer Fälscherkollegen, nicht wahr?«, bemerkte Edmund Linz mit spöttischer Miene.
»Nein, Han van Meegeren ist schon lange Tod«, fuhr Konrad Schumann unbeirrt fort. »Er hat sich in den dreißiger und vierziger Jahren auf die alten Holländer spezialisiert. Er hat aber keine Reproduktionen angefertigt. Er hat neue Bilder, neue Motive geschaffen, aber eben unter der Signatur der alten Meister. Bei seiner Alterungsmethode hat er die fertigen Gemälde von ihrem Rahmen abgenommen, auf einen Zylinder gespannt und bei einer Temperatur um die 100°C in einem Klimaschrank getrocknet. Er hat wohl gute Ergebnisse damit erzielt. Wir verwenden natürlich keinen Zylinder und spannen unsere Bilder auf keinen Fall ab.«
»Und sie malen ein Bild, legen es in ihren Schrank, warten ein paar Tage und schon sieht das Gemälde aus, als sei es hundert oder mehr Jahre alt?«
»So einfach ist es dann auch wieder nicht«, meinte Konrad Schumann. »Mit dem Klimaschrank erreichen wir zunächst einmal authentisch wirkende Altersspuren, wie zum Beispiel eine Sprungbildung, die sogenannte Craquelure, wie sie nur bei sehr alten Ölgemälden im Laufe der Zeit auftritt, wobei hier auch unterschieden werden muss. Sehr, sehr alte Gemälde beispielsweise von Rembrand oder da Vinci zeigen diese Rissbildung meist sehr deutlich. Bei relativ jungen Bildern und ich spreche hier von hundert oder hundertfünfzig Jahren, ist die Craquelierung nicht so sehr ausgeprägt. Wir mussten
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