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1981 - Richard

1981 - Richard

Titel: 1981 - Richard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Zeram
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Victor Jasoline war ein Angehöriger des französischen Millitärs. Die Marquesas und Tahiti mussten nicht seine letzte Station gewesen sein. Er konnte später auch in all den anderen französischen Kolonien und sogar auch in den Protektoraten wie Madagaskar oder Indochina eingesetzt worden sein. Oft lag es nicht in der Entscheidung der Offiziere in welchen Teil der Welt es sie verschlug oder wann sie nach Frankreich zurückkehren durften.
    Georg las alles über das Kolonialthema. Die meisten Bücher enthielten Fotografien in schwarzweiß, einige aber auch koloriert, in merkwürdig unnatürlichen Farben. Auf den Bildern wurden die Eingeboren, deren Lebensweise, die ersten größeren Siedlungen und Städte und natürlich auch die Militärpersonen abgebildet. Oft standen die uniformierten Männer in Gruppen zusammen, sahen streng in die Kamera und schienen das Herrschaftssystem der damaligen Zeit zu verkörpern. Die Bibliothek war gut ausgestattet und verfügte auch über zahlreiche Computerarbeitsplätze, die für eine Internetrecherche genutzt werden konnten. Er ließ den Bücherstapel an seinem Platz zurück und suchte sich einen freien Terminal. Im Internet fand er vor allem aktuelle Informationen. Die Auseinandersetzung und die Aufarbeitung der Kolonialmacht Frankreich wurde diskutiert, die heutigen Probleme in den Zuwanderer-Ghettos, in den Trabantenstädten und den Vororten von Paris und anderer französischer Großstädte wurde als Folge früherer Politik gewertet. Dies alles interessierte ihn wenig, ihn interessierte das Gestern. Bei seiner Suche fand er schließlich einen Hinweis auf eine Ausstellung in Paris . Es war der krasse Gegensatz zu den politischen Themen. In der Ankündigung wurde damit geworben, dass der Besucher sich in die Welt der Kolonien zurückversetzen lassen konnte. Eine Reise in die Kolonien, ohne ein Schiff oder ein Flugzeug zu besteigen, und eine Reise in die Vergangenheit, in die Zeit vor hundert oder hundertfünfzig Jahren. In dem Internetauftritt der Ausstellung gab es eine Rubrik mit dem Titel: »Haben sie Vorfahren in den Kolonien«. Hier ließ sich laut Ankündigung nach Familiennamen suchen. Als Ergebnis sollte einem dann mitgeteilt werden, ob der eigene Name oder der von Verwandten auf Saint-Martin , auf den Guadeloupe-Inseln, auf Martinique oder sogar auch auf Tahiti bekannt war und vielleicht heute noch existierte. Georg hatte damit gerechnet, eine solche Recherche auf den Web-Seiten der Ausstellung selbst durchführen zu können. Dies war aber nicht möglich. Er druckte sich die Seiten aus und legte sie in seine Mappe.
     
    *
    Georg hatte zu Hause nicht mehr gefrühstückt. Die Frühmaschine nach Paris trug ihn bereits um 6:15 Uhr am Bodensee vorbei in Richtung der französischen Hauptstadt. Der Flug dauerte fast zwei Stunden. Vom Flughafen Charles-De-Gaulle ließ er sich mit dem Taxi in die Stadt fahren. Die Verpflegung der Air France war nicht gerade üppig, so dass er sich am Boulevard Montmartre in ein Bistro setzte und das bestellte, was die Einheimischen aßen, wenn es Einheimische waren und nicht wie er Touristen. Die Ausstellung im Grand Palais öffnete an diesem Mittwoch ab 10:00 Uhr. Er war aber erst um elf dort. Da es eine Dauerausstellung war, hielt sich der Besucherandrang in Grenzen. Er schlenderte etwa eine Stunde durch die Räume und Säle. Es gab sogar eine kleine Halle, die mit Hütten, Sand und Palmen bebaut war. Er musste durch eine dicke, zweiflüglige Tür gehen, um in die Halle zugelangen. Ein Mann war extra abgestellt, die Tür zu öffnen und die Besucher einzulassen. Als sich Georg in der Halle befand, merkte er gleich, warum dieser Aufwand betrieben wurde, schlagartig hatte sich das Klima verändert. Es war sehr warm, die Luftfeuchtigkeit war deutlich höher und es roch nach Bounty , wie er meinte, nach diesem Schokoriegel mit Kokosfüllung. Das ganze war untermalt mit den Stimmen exotischer Tiere und Insekten. Eine Art von Schaufensterpuppen stellten in einer Ecke die Ureinwohner Polynesiens und in einem anderen Bereich Menschen aus Madagaskar da. Das ganze erinnerte ihn an das Überseemuseum in Bremen , das ähnliche Ausstellungen zeigte. Dort gab es jedoch diesen Klimaschock nicht, dafür aber die Möglichkeit, innerhalb einer Stunde die ganze Welt zu durchqueren, von der Taiga Sibiriens bis hin zur Tropenhölle Neuguineas . Als er die Halle wieder verließ, schwitzte er sogar ein wenig. Nach seinem Orientierungslauf wandte er sich an einen der

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