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1981 - Richard

1981 - Richard

Titel: 1981 - Richard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Zeram
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mit der Arbeit und seiner Kanzlei zufrieden, sehr zufrieden sogar. Er besann sich wieder. Das Straßenschild wies sechsundfünfzig Kilometer bis nach Vannes aus. Er befand sich auf einer Landstraße und rechnete aus, dass er bestimmt eine Stunde nach Vannes brauchte und zurück nach Nantes eine weitere Stunde oder sogar zwei. Er fuhr wieder an, blinkte links und nahm die Straße Richtung Nantes. Er blieb auf der Landstraße, obwohl er auch die Autobahn hätte nehmen können. Es war später Nachmittag, als er wieder in Nantes eintraf. Er parkte vor seinem Hotel, ging aber nicht auf sein Zimmer. Er wollte noch ein Stück am Nordufer der Loire spazieren gehen. Er liebte es, am Wasser, am Meer oder an Uferpromenaden zu schlendern und seine Gedanken zu befreien, wie er es nannte. Er konnte jetzt aber nicht viel nachdenken, weil er immer wieder durch das Treiben am Fluss abgelenkt wurde. Kleine Kähne legten an, alte Segelschiffe mit zwei oder sogar drei Masten lagen vertäut an ihrem letzten Ankerplatz. Die Takelage spannte sich knackend, wenn der Wind gegen die Seile drückte. Obwohl es für das Abendessen noch recht früh war, kehrte er in der Rue Constantine in ein Restaurant ein. Hinter dem Haus verlief eine Bahnlinie, über die ab und zu Regionalzüge in mäßigem Tempo vorbeizogen, was aber kaum störte. Er nahm sich eine französische Zeitung und bestellte ein Nudelgericht. Als er das Restaurant wieder verließ, dämmerte es bereits. Er hatte keine Schwierigkeit zu seinem Hotel zurückzufinden. Aus einem Imbiss nahm er noch zwei Flaschen Bier mit und verbrachte den Abend vor dem Fernseher in seinem Hotelzimmer. Er legte sich um kurz nach zehn schlafen. Er war müde und der Flug am nächsten Morgen, zurück nach München, sollte ebenso früh gehen, wie der Hinflug nach Nantes. Er lag zunächst wach im Bett und dachte noch einmal über den Tag nach. Er erinnerte sich plötzlich an eine Fernsehreportage über Ahnenforscher. Ein alter Herr suchte nach den Spuren seines Ur-Ur-Großvaters. In einem hessischen Dorf traf er schließlich auf den Bürgermeister, der sich noch an den Familiennamen erinnern konnte. In dem Beitrag wurde ganz besonders darauf aufmerksam gemacht, dass es wichtig sei, nicht nur in Büchern oder Archiven nach Dokumenten und Urkunden zu suchen, sondern auch an die vermeintlichen Orte zu fahren, an denen die gesuchten Ahnen gelebt hatten. Georg hatte sich an diesem Tag auch die Orte der Vergangenheit angesehen. Er konnte allerdings noch nicht einordnen, was es ihm einbringen würde. Auf richtige Spuren war er bislang noch nicht gestoßen. Seine Hoffnung lag jetzt bei der jungen Rathausangestellten, die versprochen hatte, für ihn etwas über Yvette und Julie herauszufinden, auch wenn seine Startinformationen mehr als dürftig waren. Das letzte, woran er dachte, bevor er einschlief, war die Überzeugung, dass gerade das Aussichtslose zum Erfolg führen kann.
    *
    Georg hatte noch am Freitagabend mit Simon telefoniert und ihm von dem Besuch in Allaire berichtet. Er bedauerte es, noch keine handfesteren Hinweise erhalten zu haben. Liane DeFoube meldete sich erst am Donnerstag der darauffolgenden Woche. Am Vormittag war Georg noch bei einem Mandanten. Nach dem Mittagessen sah er sich die Mails an, die in den letzten Tagen eingegangen waren. Er arbeitete die Nachrichten normalerweise chronologisch ab, in der Mailliste fiel ihm aber der Absender auf und er übersprang die restlichen Einträge und öffnete sofort die Mail der jungen Rathausangestellten aus Redon. Sie schrieb ein paar einleitende Worte und entschuldigte sich, dass es doch länger gedauert hatte. In den Worten lag eine gewisse Euphorie, die Georg nicht gleich einordnen konnte. Zunächst berichtete sie über ihr Vorgehen bei der Datenbankrecherche. Sie erklärte die Zugehörigkeit der Region um Redon zum Arrondissement Vannes und dass Vannes wiederum die Präfektur des Départements Morbihan war. Die Verwaltung war so organisiert, dass alle Rathäuser und Gemeindevertretungen Zugriff auf die Daten ihres Départements hatten. Georg kannte den Aufbau der Verwaltungsbezirke in Frankreich. Er hatte sein Wissen letzte Woche aufgefrischt, als ihm Liane DeFoube das erste Mal von der Personenstandsdatenbank erzählt hatte. In Frankreich gab es zweiundzwanzig Regionen, wie die Bretagne, die Aquitaine oder die Rhone-Alpes, die sich wiederum in die sechsundneunzig europäischen Départements aufteilten. Georg dachte jetzt an das koloniale Frankreich . Es

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