1988 VX (SM)
Punkt eins in der Halle sein.«
Erst jetzt bemerkte Golombek, daß die Mitglieder der Gruppe, die für den Einbruch ins Camp vorgesehen waren, wie Soldaten aussahen. Sie trugen dunkle Overalls, Nadine auch, und jeder hatte an seinem Gürtel eine längliche Tasche hängen.
Er fragte Nadine:
»Was haben Sie da?«
»Das gehört zu unserer Ausrüstung; Proviant, Verbandszeug, Kompaß, Fernglas und was man sonst noch braucht, wenn man im Einsatz verlorengeht und plötzlich auf sich allein gestellt ist.«
Er nickte, obwohl er die klobigen Behälter eher für hinderlich hielt als für hilfreich, jedenfalls bei einem Einsatz wie dem bevorstehenden, sagte aber nichts, wollte sich nicht schon wieder belehren lassen.
Um kurz vor eins gingen sie in die Halle. Robert teilte die Leute ein. Inzwischen war auch Joseph erschienen. Er erhielt die Aufgabe, zusammen mit Hilario die diesseitige Seilrolle zu bedienen und die Granate vom Schacht zum Auto zu tragen.
»Wo ist denn Pierre?« fragte Golombek.
»Der hockt schon im Unterstand«, erwiderte Robert, »und macht da alles klar.«
Die beiden Russen legten den Schacht frei. Golombek sah hinein, sah das Gemäuer und den stählern blinkenden Tunnelmund, und wieder einmal staunte er darüber, wie perfekt die ganze Anlage geworden war. Flüchtig erinnerte er sich einiger Vorbilder, dachte: Unterirdische Fluchtwege gibt es wahrscheinlich schon so lange, wie es die Gefangenschaft gibt. Zwei Filme fielen ihm ein, der französische mit dem Titel DAS LOCH, in dem Gefängnisinsassen versuchen, sich ins Freie zu graben, und der amerikanische THE BIG ESCAPE, in dem während des Zweiten Weltkrieges einige alliierte Offiziere durch einen mühsam geschaufelten Tunnel aus einem deutschen Kriegsgefangenenlager fliehen. Aber nicht immer ging es darum, hinauszukommen, sondern oft auch – wie jetzt bei ihm und seinen Partnern – um die entgegengesetzte Richtung, um den Versuch, hineinzugelangen in ein vielfach abgesichertes Revier, in eine Bank zum Beispiel oder in ein Juweliergeschäft. Er hatte es genau vor sich, das kleine, zur Tarnung aufgestellte Bauzelt, mit dem die Täter sich den Anschein von Legalität geben. Was wir hier tun, dachte er, ist also nichts Neues, aber ich bezweifle, daß je vorher bei solchen Anlässen etwas so Grandioses errichtet wurde wie unsere blitzsaubere Pipeline!
Um Punkt ein Uhr stiegen sie hinab, Golombek als vorletzter. Alle trugen leichte, biegsame Schuhe. Im Schacht war es eng, weil die Seilrolle mit der stählernen Handkurbel viel Platz einnahm. Endlich kam einer – es war Igor – auf die Idee, die sperrige Kurbel, die nicht fest montiert war, sondern wie ein Schraubenschlüssel gehandhabt wurde, von der an der Rollenachse sitzenden Vierkantnut abzuziehen und auf den Boden zu legen. Das schaffte Raum.
Dann ging es im Gänsemarsch durch die Röhre. Robert war der erste. Er hatte eine Lampe um den Hals hängen, deren Licht in bizarren Mustern von der gewölbten Rohrwand zurückgeworfen wurde.
Weil jedes Geräusch vermieden werden mußte, kamen sie nur langsam voran. Eine zusätzliche Behinderung bildeten die beiden am Boden verlaufenden fast fingerdicken Schnüre: das Elektrokabel und das Zugseil.
Nach fünfzig Metern, genau unter dem Luftschacht, machten sie eine Rast. Robert fragte im Flüsterton: »Hat jemand Schwierigkeiten?«
Niemand antwortete. Nur das forcierte Atmen war zu hören.
Es ging weiter. Um sechzehn Minuten nach eins kamen sie im Unterstand an, setzten sich auf den hölzernen Fußboden und verschnauften.
Pierre hatte alles mit großer Sorgfalt vorbereitet. Die Matratze lehnte aufrecht an der Wand, war schon mit dem Zugseil verbunden. Die Rolle für den Rücktransport der Matratze stand in einer Ecke, die Kurbel lag daneben. Das Periskop war aufgestellt. Von der hölzernen Deckenkonstruktion hing die Halogenlampe herab und leuchtete den Raum gut aus. Golombek erinnerte sich daran, daß Rüdiger in den vergangenen Tagen mehrmals gemahnt hatte, vor dem Anheben der »Torte« unbedingt das Licht auszumachen. Nadine stellte sich ans Sehrohr, drückte das Objektiv nach oben. Als es die erforderliche Höhe hatte, hielt sie die Augen ans Okular, begann mit der Drehung.
»Wie gestern«, sagte sie. »Wir haben großartige Sicht! Ich erkenne die Straße, die Häuser, die Bunker. Das Auto ist heute nicht da. Die Panzer haben sich vermehrt. Es sind jetzt fünf. Aber sie werden, wie gestern, nur von einem Posten bewacht.« Während sie sprach, drehte sie sich immer
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