1988 VX (SM)
in die Höhe geworfen hatte, sah noch einmal über das nun gemähte Kornfeld, ging dann durch ein kleines Waldgebiet, bis sie das Blockhaus der Golombeks vor sich hatte. Sie versteckte sich im Unterholz.
Es war nicht sicher, daß er auch an diesem Morgen kommen würde. Anderthalb Wochen lang hatte sie beobachtet, daß er fast täglich gegen sieben Uhr ausritt, aber es war unmöglich gewesen, ihm zu folgen. Schließlich war ihr eingefallen, daß er von dem kleinen Haus im Wald erzählt hatte, und auch davon, daß es für seine Tochter ein Ort der Zuflucht gewesen war. Vielleicht nun ebenso für ihn? Also hatte sie sich dort auf die Lauer gelegt, und er war tatsächlich gekommen! Ihr Vorhaben sogleich in die Tat umzusetzen, war zu riskant gewesen. Er hätte eine Verabredung haben können. Aber nun war er schon dreimal hier gewesen und immer allein. Das mußte genügen.
Sie saß auf einem Baumstumpf, bog ein paar Zweige zur Seite, sah den Sandweg hinunter. Wenn er heute nicht kommt, dachte sie, dann morgen oder übermorgen! Vielleicht auch noch später, aber irgendwann kommt er, und dann werde ich ihn auslöschen! Außer Igor und Sieglinde ist er der einzige, der auf mich zeigen und sagen könnte: Das ist sie! Und der es auch täte. Außerdem: Er hat uns zu Fall gebracht und ist mitverantwortlich dafür, daß Robert, Pierre, Hilario und Wladimir in Stockholm sterben mußten und Rüdiger und Fred in Barcelona. Und Helga hat er sogar mit seinen eigenen Händen umgebracht.
Sie war gut getarnt, trug schwarze Jeans, eine dunkelgrüne Windjacke, einen langen, dicken Schal um den Hals und ein Tuch um den Kopf. Da in fast allen deutschen Zeitungen ein Phantombild von ihr erschienen war, hatte sie sich eine blonde Perücke und graublaue Kontaktlinsen besorgt. Neben ihr stand auf dem moosigen Waldboden ein Korb mit Pilzen, für alle Fälle. Es war zwar eine einsame Gegend, in der sie sich befand, und bisher hatte sie jedesmal die anderthalb Kilometer zwischen ihrem Wagen und dem Blockhaus zurückgelegt, ohne einem Menschen begegnet zu sein, aber sie wollte sichergehen, wollte, wenn ein Förster auftauchte oder ein Bauer, ein Waldarbeiter oder ein Spaziergänger, den Nachweis harmlosen Tuns sichtbar mit sich führen.
Ich werde in meine Heimat zurückkehren und dort verkünden: Meine Toten sind gesühnt! Nicht ganz so, wie ich es wollte, aber doch gesühnt. Ja, Matthew Braden und Jeff Haggerty und ihr Soldaten im Camp von Wasloh, auch meine Eltern und mein Bruder waren ohne persönliche Schuld! Ihr hattet, von Haggerty abgesehen, einen schnellen Tod. Daß es überdies ein zynischer Tod war, wußten wir damals noch nicht. Wie sollten wir ahnen, daß unser Auftrag nicht aus Moskau, sondern aus eurem eigenen Land gekommen war!
Sie bog die Zweige weiter zur Seite, beugte sich vor. Der Weg war immer noch leer. Dann griff sie in ihre Jackentasche, zog eine WALTHER PPK hervor, wiegte sie in der Hand. Mit der Linken nahm sie ihren Schal ab, wickelte ihn um die Rechte, die die Waffe hielt. Ein unförmiger Wulst entstand. Wenn es soweit war, würde es darum gehen, den Schall gering zu halten. In der anderen Jackentasche steckte zwar der etwa zehn Zentimeter lange, rohrförmige Aufsatz, mit dem der Schall sich um bis zu achtzig Prozent dämpfen ließ, aber ihr Plan verbot dessen Verwendung, jedenfalls bei dem ersten und entscheidenden Schuß. So war sie auf den dicken Schal verfallen. Er war natürlich weniger wirksam, aber die Wände des Blockhauses würden ja für zusätzliche Dämmung sorgen. Sie wickelte den Schal wieder ab, legte ihn sich um den Hals, steckte die Pistole ein. Es war nicht die WALTHER, mit der sie Colonel Braden erschossen hatte. Es hätte durchaus seinen tieferen Sinn gehabt, das erste und das letzte Opfer von Wasloh mit derselben Waffe niederzustrecken, aber auch das paßte nicht in ihren Plan. Daß beide von derselben Hand starben, mußte ausreichen.
Sie tastete ihre Fingerspitzen ab, alle zehn. Der Spray fühlte sich an wie Zelluloid. Sie hatte ihn am Morgen erneuert.
Aus der Ferne erklang Hufschlag. Wiederum verschaffte sie sich Sicht. Noch war der Reiter nicht zu erkennen, aber es dauerte höchstens eine halbe Minute, da wußte sie: Der Mann in der kurzen schwarzen Jacke, den dunkelgrünen Breeches und den langen schwarzen Stiefeln war der, auf den sie gewartet hatte. Er kam schnell näher, ritt im Galopp. Sie sah den gelben Staub hinter Pferd und Reiter aufsteigen.
Cara hielt, wie immer, auf die
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