1991 Atlantik Transfer (SM)
der gleich neben der Schwingtür stand. Obwohl sie an Bord englisch miteinander gesprochen hatten, waren sie auf Nielsons Wunsch hin schon bei seinem ersten Besuch zum Spanischen übergegangen, und dabei war es geblieben.
Eine halbe Stunde lang ging es um die Fragen nach dem Befinden, nach der Familie, den Freunden und nach dem, was die vergangenen Jahre dem einen und dem anderen gebracht hatten. Über den Fall Pohlmann sprach Nielson jedoch nicht, wohl aber über den in New Orleans aufgedeckten Drogenschmuggel.
Pepe hatte, so fand er, von seinem feurigen Temperament ein wenig eingebüßt. In den Bewegungen war er ruhiger geworden, in der Mimik beherrschter. Das einst pechschwarze Haar war nun durchgehend grau. Stark gekräuselt lag es wie ein Päckchen Wolle auf seinem Kopf. In das tiefbraune Gesicht hatten sich Falten eingegraben.
»Was möchtest du essen? Vorweg eine Avocado-Suppe und dann vielleicht grünen Reis mit Scampi?«
»Gern.«
»Genau das hast du nämlich beim letzten Mal gegessen.«
»Das weißt du noch?«
»Oh, ich weiß noch alles!« antwortete Pepe, und seine Augen glänzten plötzlich wie früher. »Bitte, entschuldige mich für einen Moment!« Er verschwand, und kurz darauf wurde die Suppe gebracht.
Als Nielson das Reisgericht vor sich hatte, kam Pepe zurück und setzte sich wieder an den Tisch.
»Ich will dich aber nicht von deiner Arbeit abhalten«, sagte Nielson.
»Meine Leute schaffen das auch ohne mich.«
»Es schmeckt phantastisch! Willst du nicht mitessen?«
»Hab’ schon.«
Gegen elf Uhr, als das Lokal sich leerte, saßen die beiden noch immer an ihrem Tisch. Sie tranken café de olla und rauchten mexikanische Zigaretten.
»Wann kommt deine CAPRICHO in Veracruz an?« »Ungefähr in fünf Tagen.«
»Dann bist du bis dahin mein Gast!«
»Danke, aber diesmal geht’s leider nicht.«
»Warum?«
»Ich suche im Staat Tlaxcala nach einem Deutschen, mit dem ein Freund von mir und ich eine Rechnung zu begleichen haben.«
»Das klingt nicht gerade nach ’ner Ferienreise.«
»Ist es auch nicht.«
Nielson begann zu erzählen. Daß er manchmal geschmuggelt hatte, wußte Pepe, aber nun kam die Pohlmann-Geschichte, und Nielson erzählte sie in allen Einzelheiten. Die dramatische Szene im Funkraum schilderte er so anschaulich, daß Pepe ihm gebannt lauschte wie ein Kind dem Märchenerzähler. Hin und wieder antwortete er mit einem erschrockenen » Dios mío! « oder » Madre mía! « , und einmal rief er aus: » Qué hombre miserable! «
Es wurde Mitternacht, bis Pepe auch von Jacob Thadens Schicksal und von der Serie im KOMET, von dem vermutlich fingierten Tod in der Karibik, von Luise Pohlmann, der Agentur MUNDIAL, dem schwarzen CADILLAC und der Madrugada erfahren hatte. Als letztes beschrieb Nielson, mit welcher Raffinesse Ernst Pohlmann den Konkurs seiner Firma in einen persönlichen Triumph umgewandelt hatte, und da mußte der Mexikaner allerdings lächeln, lebte er doch in einem Land, in dem Korruption und betrügerische Delikte an der Tagesordnung waren. Aber er wurde schnell wieder ernst und meinte:
»Immerhin gab es in Deutschland Leute, die so was mit sich machen ließen; die Schuld teilt sich also auf. Und der Unfall in der Karibik, ich muß schon sagen, das war ’ne Glanznummer.
Aber die Sache mit der MELLUM … ja, da hat der Mann gezeigt, was er in Wirklichkeit ist: eine Kanaille.«
»Das kann man wohl sagen!«
»Ihr geht also davon aus, daß er noch lebt?«
»Die hundertprozentige Gewißheit fehlt uns noch. Die müssen wir uns holen, morgen oder übermorgen, jedenfalls in den nächsten Tagen.« Nielson griff in die Innentasche seiner Jacke, holte einen Briefumschlag heraus, legte ihn auf den Tisch.
»Pepe, wir brauchen deine Hilfe! Natürlich kann ich dir als meinem Freund keine Bezahlung dafür anbieten, und mit den zehntausend Dollar, die hier auf dem Tisch liegen, verhält es sich auch ganz anders.« Eigentlich war er kein Mann großer Worte, doch diesmal hielt er es für notwendig, ein bißchen theatralisch zu werden, und so fuhr er fort: »Du mußt mich von diesem Geld befreien! Es ist der Betrag, den ich vorhin erwähnte. Pohlmann hat ihn mir gegeben und dem Funker noch einmal das gleiche, weil wir seine Anweisungen befolgt haben. Ich hätte natürlich sagen können, er soll sich sein Geld sonstwohin stecken, aber dann hätte ich ihn für seine Schäbigkeit sogar noch belohnt. Also hab’ ich’s genommen. Aber jetzt, mit einem Mann an meiner Seite, der durch die
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