1991 Atlantik Transfer (SM)
erschienen.
Ihre Ungeduld wuchs. Zehn vor neun. Fünf vor neun. Neun. Sie wurden nervös. Nielson rauchte Kette, und Thaden trank in vielen kleinen Schlucken von seinem Bier, nicht, weil er Durst hatte, sondern weil er die Hände nicht ruhig halten konnte.
Viertel nach neun.
»Ich glaube, er hat es sich anders überlegt«, sagte Thaden.
»Vielleicht hat er die so plötzlich entstandene Geschäftsbeziehung noch einmal überdacht und sich gesagt: In meiner Lage bedeutet jeder Fremde, der bei mir auftaucht, ein Alarmsignal, ganz gleich, wie mexikanisch er aussieht und wie plausibel sein Vorschlag sich anhört.« Aber Nielson schüttelte den Kopf. »Ich glaub’ eher an die notorische Unpünktlichkeit hierzulande.«
»Er ist Deutscher.«
»Lebt aber schon seit einem halben Jahr hier, und so einen Schlendrian übernimmt man schnell.«
Fünf vor halb zehn. Die Tür ging auf. Pepe steckte nicht nur den Kopf ins Zimmer, sondern kam herein und machte die Tür hinter sich zu. » Mierda! « sagte er dann.
Thaden kannte das französische merde und ahnte, daß ihr mexikanischer Freund soeben ein herzhaftes Scheiße! von sich gegeben hatte.
»Noch immer nicht da?« fragte Nielson.
»Er ist gekommen, aber guck mal unauffällig in den Saal! Nein, du lieber doch nicht, sondern Sie!«
Thaden stand auf, hörte noch, wie Pepe auf spanisch weiterredete, fragte aber nicht nach, sondern betrat die Küche. Nicht eine Spur der herrlichen, vom Herd aufsteigenden Düfte nahm er in sich auf, so angespannt war er. Vor der Schwingtür blieb er stehen und sah durch eins der beiden Rundfenster. Von den Fotos her erkannte er den Mann am Tisch Nr. 1 sofort. Es war Ernst Pohlmann. Aber da saß noch jemand bei ihm, ein junges Mädchen. Auf den ersten Blick eine Schönheit, auf den zweiten wohl doch keine. Achtzehn, vielleicht zwanzig Jahre alt. Lackschwarzes Haar, indianische Züge, karamelfarbener Teint, an den Ohren große Clips aus Malachit. Das Auffallendste war die volle, straffe Brust, aber gemessen daran, daß das Mädchen in einem Restaurant saß, bot sich dem Betrachter ein bißchen zuviel der Karamelfarbe dar. Pohlmann wirkte neben dem Mädchen wie ein alter Gockel. Er turtelte mit ihr herum, und sie ließ es sich ganz offensichtlich gern gefallen. Jetzt hatte auch Thaden das Wort auf der Zunge, schob es leise und langsam durch die Zähne: »Scheiße!« Sein Blick erfaßte noch mehr. Auf der Fensterbank neben dem Tisch stapelten sich Pakete, mindestens ein halbes Dutzend, und jedes war in glitzerndes Geschenkpapier eingewickelt. Also hat er sie erst mal eingekleidet, dachte er, damit sie in Zukunft präsentabel ist.
Er wandte sich ab, durchquerte die Küche und kehrte ins Büro zurück, hörte gerade noch, wie Pepe zu Nielson sagte:
» … y sin duda es una puta! « Dann sagte er es für Thaden noch einmal auf englisch: »Sie ist bestimmt eine Nutte!« Sein ganzer Zorn schwang mit, als er hinzufügte: »Wenn sie hustet, springen ihre Titten auf den Teller!« Er stand auf. »Na, ich geh’ jetzt mal wieder zu ihm; sonst wundert er sich. Wir blasen also alles ab; nur den Test, den solltest du noch machen, Enrique.« Er verschwand. Nielson nahm das Fernglas von der Wand, hängte es sich um.
»Ich komme mit«, sagte Thaden.
Sie verließen das DON PEPE durch den Lieferanteneingang, überquerten den Hinterhof und erreichten wenig später die kleine Straße, die zur Plaza führte und an deren Ecke ihr Wagen stand. Sie stiegen ein.
Schräg vor ihnen lag in etwa zwanzig Metern Entfernung das Restaurant. Durch das große Fenster konnten sie den Mann und das Mädchen gut sehen.
Nielson setzte das Glas an die Augen. Ein paar tausendmal hatte er das in seinem Leben getan, aber diesmal war es anders. Kein Schiff, kein Leuchtfeuer, kein Stück Küste in dem kreisrunden, stark vergrößerten Bildausschnitt, sondern ein Gesicht, ein verhaßtes. Schon die allererste Sekunde verriet ihm: Auch wenn er jetzt einen anderen Haarschnitt und einen Bart hat, das ist der Mann, der in Ellerups Funkbude polterte und uns beide mit der LUGER in
Schach hielt! Genau wie bei unseren gemeinsamen Mahlzeiten führt er den Löffel zum Mund! Und dieses zustimmende Nicken, wenn irgendwas ihm besonders gut schmeckt! Wirklich, der Gast, der dort, durch das Fernglas
ganz nah herangeholt, im DON PEPE saß und seine Suppe löffelte, war derselbe, den er als Eberhard Leuffen von Antwerpen nach Veracruz befördert
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