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1991 Atlantik Transfer (SM)

1991 Atlantik Transfer (SM)

Titel: 1991 Atlantik Transfer (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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wie er die anderen rumkriegen könnte. Er ging sie alle durch, fing bei den Offizieren an, stufte sie ein in mögliche Mitmacher, Fifty-fifty-Kandidaten und Gegner, und plötzlich hatte er das Bild eines wilden, sich auf dem Deck ausbreitenden Gemetzels vor Augen.
Er wurde immer verzagter, immer schwankender. Männer, die er anfangs als todsichere Überläufer eingestuft hatte, hielt er bei der zweiten Prüfung für Getreue des Kapitäns. Der Koch zum Beispiel! Er kannte die Geldgier von Jan de Boers, aber jetzt wurde ihm bewußt, daß der Holländer ein vorsichtiger, ja, ein mißtrauischer Mensch war, der bei der Proviantübernahme am liebsten alle Tüten, alle Kartons, alle Konservendosen öffnen würde, um nachzusehen, ob sie auch tatsächlich das enthielten, was draufstand. Klar, daß der als erstes fragen würde: »Wo ist die halbe Million?« Und sie war natürlich nicht da, konnte nicht da sein, weil der großzügige Spender ein Gefangener war.
So kam Conally erst auf dem Umweg über den Koch zu seinen eigenen Zweifeln, aber als sie dann da waren, zernagten sie den schönen Traum vom Reichtum. Natürlich, dachte er, wer in der Tinte sitzt, verspricht das Blaue vom Himmel, damit er freikommt. Jedenfalls hat er im Moment bestimmt keinen einzigen Centavo in der Tasche, und woher soll ich wissen, ob er wirklich einer der reichsten Männer von Mexiko ist? Und wenn’s stimmt, wie soll in Veracruz die Bezahlung stattfinden? Ist er erst mal von Bord, sehen wir ihn vielleicht nie wieder! In seiner Verzweiflung versuchte er zum dritten Mal, eine Truppe von Verschwörern zusammenzustellen. Und fand nicht einen Mann. Im Gegenteil, er sah sich zum Gespött werden. Scheiße! dachte er, wie konnte ich diesem Kerl ein Messer zuspielen? Aber er wußte: Den Käpt’n durfte er nicht verständigen. Er wäre nicht nur seinen Job los, nein, man würde ihn auch noch festsetzen, ihn ins Kabelgatt sperren und später, an Land, als Meuterer vor Gericht bringen. Er zermarterte sich das Hirn mit der Frage, wie es nun weitergehen solle, und nach langem Grübeln entschloß er sich, die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen. Kann ja sein, dachte er, daß es dem Mann gelingt, Nielson als Geisel in seiner Gewalt zu halten und dadurch die Rückkehr nach Veracruz zu erzwingen. Dann wird er selbst es sein, der den Leuten die halbe Million verspricht. Ob sie ihm trauen, muß abgewartet werden. Wenn er die Oberhand behält und wirklich so reich ist, wie er behauptet, bleibe ich für ihn der entscheidende Mann, denn ich war’s, der ihm das Messer gab, und dann komme ich vielleicht doch zu meiner Million. Ja, so sah sie aus, die naive, die halbherzige Strategie des Stewards John Conally aus Norfolk/Virginia.
    Ein Tag, wie er von der Witterung her nicht schöner hätte beginnen können. Windstille. Ruhige See. Die Morgensonne spiegelte sich im blanken Wasser. Am Himmel keine Wolke. Dreiundzwanzig Grad Lufttemperatur. Nielson hatte sich gewaschen und rasiert. Er knöpfte gerade das Hemd zu und war auf dem Weg in den Salon, als es an die Tür klopfte.
    »Yes!«
    Thaden trat ein. Sie begrüßten sich, und dann zog Nielson seine Litewka an.
    »Draußen ist es so schön«, sagte Thaden, »daß es mir schwerfällt, ins herbstliche Europa zurückzukehren. Hab’ manchmal das Gefühl, ich hätte auch Seemann werden sollen.«
    »Wärst sicher ein ganz brauchbarer geworden.« »Was macht unsere Einquartierung?«
»Verhält sich ruhig. Ich werde ihm heute ein paar saubere Klamotten geben und ihn auch mal an den Wasserhahn ranlassen. Hygiene-Entzug ist ’ne Art Folter, und so was machen wir nicht.« Er ging ins Schlafzimmer und holte ein paar Kleidungsstücke, eine dunkelblaue Hose, ein weißes Hemd, Strümpfe.
    »Unterwäsche kriegt er nicht; das ist mir zu intim.« »Lief es heute nacht ohne Spritze ab?«
    »Ja.« Er ging zur Wand, klappte die Leisten zurück, öffnete die Tür zur Bodega und trat ein. Eine Sekunde später schrie er auf.
    Thaden stürzte hinzu, prallte auf Nielson, sah, was mit ihm geschah: Pohlmanns linker Arm umklammerte seinen Hals, und die Rechte drückte ihm von der Seite her ein Messer an die Schlagader.
    »Folgen Sie meinen Anweisungen!« sagte Pohlmann zu Thaden, »sonst steche ich zu. Da im Schreibtisch liegt ein Revolver. Den geben Sie mir jetzt, mit dem Griff voran!« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, verstärkte er den Druck des Messers. Nielson stöhnte auf.
    Thaden lief zum Schreibtisch, zog die oberste Schublade auf,

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