1991 Atlantik Transfer (SM)
beiden Polizeifahrzeuge setzten sich in Bewegung, Richtung München. Im Fond des ersten saßen Becher und Replin.
»Wenn ich«, sagte der Staatsanwalt, »ein paar Semester Betriebswissenschaft studiert hätte, bestünde vielleicht eine Chance für mich, Pohlmanns Machenschaften ganz zu begreifen. Wir haben eine komplette Lkw-Ladung von Akten der Firma EUROVIT in unserer Dienststelle, und meine Mitarbeiter wühlen sich wie die Maulwürfe da hindurch. Sie erstatten mir laufend Bericht, aber nicht einmal daraufhin kann ich klipp und klar sagen, was genau dieser Pohlmann gemacht hat. Fest steht, er hat die Bilanzen der EUROVIT so geschickt gefälscht, daß er jahrelang ihre enormen Verbindlichkeiten verstecken und immer neue Kredite aufnehmen konnte. Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen sind achtundvierzig Banken an der Geschichte beteiligt.«
»Die reingefallen sind«, warf Replin ein.
»Ja, und die jetzt in der Zwickmühle stecken. Sollen sie sich mit ihren Verlusten abfinden und ihre Wunden lecken oder dem schlechten Geld das gute hinterherwerfen, also den angeschlagenen Konzern mit neuen Krediten stützen in der Hoffnung, ihn zu sanieren und dann doch noch eines späten Tages ihre hohen Einsätze zurückzubekommen?«
»Aber wo ist das Geld geblieben?«
»Es heißt, Pohlmann habe als Vorstandsvorsitzender die EUROVIT ausgehöhlt und mit der flüssig gewordenen Finanzmasse einen zweiten Konzern im Ausland geschaffen, der sich unserer Kontrolle entzieht. Man weiß nicht mal, wo der sich befindet. In den USA? In Kanada? In einem karibischen Land? In Australien? Wahrscheinlich sind es mehrere Firmen, verstreut über den ganzen Globus.«
»Ist ja wirklich ein tolles Früchtchen, dieser Mann!«
»Kann man wohl sagen! Jedenfalls wartet das Gefängnis auf ihn, wenn er sich hier wieder blicken läßt. Allein bei Konkursverschleppung, und die liegt ohne Zweifel vor, werden Strafen bis zu fünf Jahren verhängt. Außerdem hat er gegen das Börsengesetz verstoßen. Als die Banken ihm keine Kredite mehr geben wollten, ist er an die Börse gegangen, um gutgläubige Anleger für das marode Unternehmen zu gewinnen. Auch die Bilanzfälschungen sind natürlich nicht straflos. Ich glaube, unter Bankern nennt man solche manipulierten Analysen innovative accounting. Ganz schön zynisch. Na, und dann der Griff in die Unterstützungskasse der eigenen Angestellten. Sogar die hat er angezapft, angeblich, um die Firma vor dem Konkurs zu bewahren. Aber von den entnommenen hundertsechzig Millionen sind nur hundertzehn Millionen bei der EUROVIT gelandet. Wo sind die restlichen fünfzig geblieben? Im Geschichtsunterricht hab’ ich gelernt, Teile und herrsche! sei von alters her ein bewährtes Regierungsprinzip. Ich glaube, das ist auch Pohlmanns Devise. Die EUROVIT besteht heute aus einem unentwirrbaren Geflecht von über hundert Firmen, und die Besitzverhältnisse sind so unklar, daß niemand durchsteigt. Der Mann hat in der Bundesrepublik einen Scherbenhaufen hinterlassen, aber er selbst sitzt wahrscheinlich irgendwo unter Palmen und genießt sein Leben, es sei denn, man hat ihn umgebracht. Angesichts der drei Briefe liegt ja auch diese Möglichkeit nahe.«
»Oder er hat die Drohungen doch ernst genommen und das Weite gesucht.«
»Kann auch sein. Vielleicht hat er sich abgesetzt, und sein Motiv dazu enthielt drei Komponenten: Angst vor Strafverfolgung, Angst vor privater Rache und obendrein die Chance, den Rest seines Lebens an irgendeinem paradiesischen Fleckchen Erde zu verbringen.«
»Meinen Sie, daß die Pohlmann mehr weiß, als sie zugibt?«
»Ja, und ich kann mir gut vorstellen, daß sie ihr luxuriöses Haus am Tegernsee eines Tages verläßt und ins Ausland verschwindet.«
»Also müssen wir die Dame vorläufig im Auge behalten.«
»Unbedingt!«
12
Die Besprechung im Bremerhavener Kontor der Reederei MAHRENHOLT & SÖHNE war vorüber. Jacob Thaden schaffte es gerade noch, vor dem Einsetzen des Berufsverkehrs nach Hause zu kommen. Doch dort hielt es ihn nicht.
Schon nach einer halben Stunde saß er wieder im Auto. Er wußte selbst nicht, was ihn bewog, ausgerechnet dorthin zu fahren, wo ihn der Anblick von Schiffen erwartete. Es geschah wie unter einem inneren Zwang.
Er fuhr zunächst nach Elmshorn, ging dann auf die B 431 und gelangte über Glückstadt und Wevelsfleth nach Brunsbüttel. Nahe der Kanalschleuse setzte er sich in ein Restaurant.
Da es Mai war und ein warmer Tag, war die Terrasse noch von vielen Ausflüglern
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