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1991 Atlantik Transfer (SM)

1991 Atlantik Transfer (SM)

Titel: 1991 Atlantik Transfer (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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nächsten Augenblick am Kartentisch erschien. Aber da vorn herrschte Schweigen. Trotzdem, er mußte es tun, und zwar jetzt. Eine Chance wie diese würde so schnell nicht wiederkommen. Aus der Innentasche seiner Jacke zog er ein Blatt Papier hervor. Es enthielt die verkleinerte Wiedergabe der MELLUM-Seekarte, die man nach den damals an die Reederei durchgegebenen Positionsmeldungen angefertigt hatte. Mit einem Kreuz war die Stelle des Untergangs markiert.
Er begann, die beiden Karten miteinander zu vergleichen, wobei ihm die auf der großen wie auf der kleinen vorhandenen Koordinaten halfen. Schon nach wenigen Augenblicken stand es fest: Die CAPRICHO hatte sich zum Zeitpunkt der Havarie in unmittelbarer Nähe des Unglücksortes befunden! Was bis jetzt nur Vermutung gewesen war und sich allein auf allgemeine Angaben wie Abfahrts- und Zielort und die dazugehörigen Daten bezogen hatte, hier war es dokumentiert, und das in einer Weise, die an Exaktheit nichts zu wünschen übrigließ! Er steckte die kleine Karte wieder ein, ordnete den großen Stapel und legte ihn in die Schublade zurück. Als er die Lade geschlossen und sich wieder dem Tisch zugewandt hatte, fiel sein Blick auf das Logbuch. Er öffnete es, blätterte darin, überflog die Eintragungen, die – neben nautischen Angaben – vorwiegend Notizen über das Wetter enthielten. Wiederum suchte er nach dem entscheidenden Datum. Er fand die Seite, aber da stand nur eine ganz kurze Notiz: »Windstärke 8-9; schwere See«.
Er klappte das Buch zu, schaltete die Lampe aus, ging nach vorn zu den beiden Männern, unterhielt sich noch eine Weile mit ihnen und machte sich auf den Weg in seine Kabine.
Er legte sich angekleidet aufs Bett. Seine Freude darüber, daß er im Kartenraum Erfolg gehabt hatte, begann sich abzuschwächen. Es war eigentlich zu glatt verlaufen. Zwar hatte er das Gesuchte entdeckt, aber wäre es nicht ein größerer Erfolg gewesen, wenn er die eine, die entscheidende Karte nicht gefunden hätte? Wäre ihre vorsorgliche Entfernung nicht ein viel überzeugenderes Indiz dafür gewesen, daß die Männer der CAPRICHO schuldig waren? Oder zumindest einer von ihnen, der Kapitän? Sprach die Tatsache, daß die Karte da war, nicht für ein reines Gewissen? Andererseits, wenn Nielson, genau wie damals Baumann, täglich die Position seines Schiffes durchgeben mußte, hätte er die Karte ja gar nicht entfernen können, ohne sich verdächtig zu machen, und eine nachträgliche Korrektur der Bleistiftlinie, technisch ein Kinderspiel, wäre aus demselben Grund entfallen!
Verdammt, dachte er, nun weiß ich nicht mal, ob ich Erfolg gehabt hab’, weil ich nicht weiß, wie der beschaffen sein muß! Er zog sich aus, legte sich dann wieder hin, versuchte einzuschlafen. Es wollte ihm nicht gelingen. Er kam sich vor wie jemand, der eine prächtige exotische Banknote gefunden hat, aber nicht weiß, wieviel sie wert ist.

9
    Am nächsten Morgen ging er zu Jonas Ellerup, dessen Logis und Arbeitsraum sich, wie die Brücke, auf dem Navigationsdeck befanden. Was schon für den nächtlichen Aufenthalt bei Jesko und dem Rudergänger gegolten hatte, galt auch für den Besuch in der Funkstation: Es war wichtig, die Nachforschungen so zu betreiben, daß sein Interesse als die normale Neugier eines Passagiers aufgefaßt wurde. Aber dem Dänen lieferte er zusätzlich einen ganz konkreten Anlaß für sein Erscheinen. Er überreichte ihm den Entwurf eines Telegramms an Wulf Maibohm, das an dessen Hamburger Privatadresse gehen sollte: REISE GUT ANGELAUFEN – BEFINDEN GROSSARTIG – SCHIFF ERFÜLLT MEINE ROMANTISCHEN ERWARTUNGEN – ANKUNFT VERACRUZ VORAUSSICHTLICH 20.9. – GRUSS JACOB.
    »Wird sofort erledigt«, sagte Ellerup und machte sich an die Arbeit. »Setzen Sie sich doch!«
Thaden nahm auf der kleinen Bank unter dem PLAYMATE-Poster Platz.
Als der Funker fertig war, drehte er sich zu seinem Gast um.
»Sind Sie auch aus Hamburg?« fragte er.
»Ja.«
»Eine schöne Stadt! Zehnmal schöner als Norfolk. Haben Sie sich da ein bißchen umsehen können?«
»Nein, dazu reichte die Zeit nicht. Ich hatte die größte Mühe, überhaupt das Schiff zu erreichen.«
»Hab’ davon gehört.«
Thaden sah sich in der Funkstation um.
»Ist ja enorm, was es hier an Instrumenten gibt«, sagte er.
»Ja, die braucht man nun mal. Sehen Sie zum Beispiel hier!«
Ellerup zeigte auf die grauen Kästen, vor denen er saß. »Haupt und Ersatzempfänger für den Seefunk; der Empfang liegt im Bereich zwischen zehn

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