1992 Das Theunissen-Testament (SM)
drückte sich rechts am Cerro Tongocao vorbei und setzte in der Ferne zur Landung an. »Können Sie so ein Ding fliegen?« fragte Olaf. »Ich nicht«, sagte Ernesto, »aber er.« Doch Federico wehrte ab: »Nein, nein. Hab’ zwar ein paarmal bei uns zu Haus ’ne CESSNA geflogen, aber das ist etliche Jahre her, und ich bin sicher, heute könnt’ ich’s nicht mehr. Außerdem hab’ ich keine Lizenz. Aber sobald wir eine Maschine brauchen, wird es kein Problem sein, mit ihr zusammen auch den Piloten zu mieten.« Sie zahlten, gingen zum Wagen zurück, stiegen ein und starteten. Es dauerte nicht mehr lange, und sie hatten den Ort Curacavi erreicht, der an einem Flüßchen gleichen Namens lag. Sie tankten und fragten nach dem Weg. »Die nächste Straße links ab«, sagte ihnen der Mann, »und dann sind es noch ungefähr zehn Minuten. Immer geradeaus in Richtung Norden.« Sie setzten ihre Fahrt fort. Olaf fieberte der Inspektion des ersten Tatorts entgegen, war vor allem gespannt auf Carlos Gutiérrez, dem er jedoch auf keinen Fall persönlich begegnen durfte, denn mit seinem neuen Outfit hatte er es noch nicht weit gebracht. Der Bart war nun vier Tage alt, sah weniger nach Zierde als nach Vernachlässigung aus. Auch seinen Haarschnitt hatte er so schnell nicht verändern können, statt dessen einen breitrandigen Strohhut gekauft. Er würde aber so bald wie möglich zum Friseur gehen und sich einen Bürstenschnitt zulegen. Er trug, was er allerdings wegen des grellen Lichtes ohnehin getan hätte, eine Sonnenbrille.
Einige hundert Meter ging es am Fluß entlang, der zu dieser Jahreszeit nur wenig Wasser führte. Auf der anderen Straßenseite reihten sich kleine, vorwiegend einstöckige Häuser aneinander, deren adrette Fassaden blau, gelb, grün oder rosa gestrichen und mit Blumen geschmückt waren. Die Pflanzen rankten sich an Spalieren hoch oder wuchsen in Töpfen, die an den Mauern hingen. Doch sobald sich zwischen den Häusern ein freies Feld auftat, wurden die Flanken der Gebäude sichtbar, die fast alle unverputzt waren und an Rohbauten erinnerten.
Sie verließen die kleine Stadt und entdeckten schon bald die hoch aufragenden Kräne des Schrottplatzes. Zufrieden nahmen sie wahr, daß die stählernen Arme sich bewegten, auf dem Platz also gearbeitet wurde. Und dann dauerte es nicht mehr lange, bis sie eben jene Anlage wiedererkannten, die auf dem Foto zu sehen war. Links und rechts von dem zweiflügeligen Tor aus Maschendraht standen mindestens drei Dutzend Autos. Vermutlich gehörten sie Kunden, die jetzt jenseits des hohen Zauns in den Wracks herumwühlten und nach diesem oder jenem Ersatzteil suchten.
Sie hielten an. Federico und Ernesto stiegen aus. Federico holte die Werkzeugtasche aus dem Kofferraum und trat dann noch einmal an das geöffnete Fenster. »Wir gucken erst mal nach«, sagte er, »ob dieser Gutiérrez überhaupt da ist. Falls nicht, sagen wir Ihnen Bescheid.«
»Okay.«
Olaf brauchte nicht lange zu warten, bis Ernesto zurückkam, und das war natürlich kein gutes Zeichen. Er stieg aus, ging dem Spanier ein paar Schritte entgegen.
»Die erste Panne«, sagte Ernesto. »Gutiérrez ist weg. Es gibt jetzt einen neuen Pächter namens Rodríguez.«
»Verdammt!«
»Schon seit ungefähr vier Wochen.«
»Wie haben Sie das Gespräch eingeleitet?«
»Hab’ gefragt: Ist Carlos Gutiérrez nicht mehr hier?« »Und jetzt?«
»Federico montiert von einem BUICK die Frontmaske ab. Am besten gehen wir zu ihm und beraten uns.« Sie passierten das Tor und dann das Wärterhäuschen, an dem ein Schild hing mit der Aufschrift. Caja. No salga Vd. sin pagar. »Was heißt das?« fragte Olaf. »Kasse. Verduften Sie nicht, ohne zu bezahlen!« Sie gingen an den beidseitig aufgereihten Fahrzeugwracks entlang bis zu dem schon reichlich zerfledderten BUICK. »Wir müssen«, empfing Federico sie, »unbedingt mehr erfahren als nur, daß der Kerl hier nicht mehr arbeitet. Wenn Rodríguez nichts Genaues weiß, hören wir uns woanders um. Gutiérrez muß ja schließlich irgendwo gewohnt haben, hatte also auch Nachbarn. Und da das hier …«, die Hand mit dem Schraubenzieher zog einen großen Bogen, »sein Arbeitsplatz war, wird Curacavi der Ort seines Privatlebens gewesen sein. Trotzdem sollten wir auch hier nachforschen, denn die neuntausend Tonnen Schrott sind schließlich von dieser Stelle aus auf die Reise gegangen. Also, während ich weiterarbeite, seht ihr euch um. Ich glaub’ zwar nicht, daß ihr auf das Kupfer stoßt,
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