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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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das sie auf keinen Fall preisgeben konnte, und dass sie daher bewusst Distanz wahrte. Ayumi verfügte über eine hervorragende Intuition. Hinter ihrem lockeren, freizügigen Auftreten, das ohnehin zur Hälfte gespielt war, verbarg sich ein empfindsamer, leicht verletzlicher Charakter. Aomame wusste das. Vielleicht hatte Ayumi sich durch ihre abweisende Haltung gekränkt und zurückgewiesen gefühlt. Bei diesem Gedanken hatte Aomame das Gefühl, ihr Herz werde von einem Nagel durchbohrt.
    Weil Aomame sich so verhalten hatte, war Ayumi getötet worden. Sie hatte in der Stadt irgendeinen Mann kennengelernt. Sie hatten getrunken und waren in ein Hotel gegangen. Hatten sich in einem dunklen Zimmer eingeschlossen und ein raffiniertes Sexspiel begonnen. Handschellen, Knebel, verbundene Augen. Aomame sah die Szene vor sich. Der Mann zog den Gürtel des Bademantels immer enger um den Hals der Frau, der Anblick ihrer Panik steigerte seine Erregung, bis er schließlich ejakulierte. Doch er hatte den Gürtel zu stark zugezogen und den Moment verpasst, an dem er hätte loslassen müssen.
    Ayumi selbst musste gefürchtet haben, dass so etwas irgendwann einmal passieren würde. Sie brauchte regelmäßig hemmungslosen Sex. Sie hatte ein körperliches – und wahrscheinlich auch ein psychisches – Bedürfnis danach. Doch einen festen Freund wollte sie nicht. Verbindliche zwischenmenschliche Beziehungen erdrückten und verunsicherten sie. Deshalb hatte sie sich in die gefährlichen Hände von Zufallsbekanntschaften begeben. In dieser Hinsicht waren sie sich ähnlich. Nur dass Ayumi die Neigung hatte, sich viel weiter vorzuwagen. Ayumi mochte riskante Sexpraktiken, vielleicht wünschte sie sich sogar unbewusst, verletzt zu werden, ganz anders als Aomame, die äußerst vorsichtig war und nie gestattet hätte, dass jemand ihr Schmerzen zufügte. In einer solchen Situation hätte sie heftigsten Widerstand geleistet. Aber Ayumi hatte die Neigung, sehr schnell auf alle Ansprüche des Partners, ganz gleich welche, einzugehen. Was sie wohl im Gegenzug erwartete? Es war eine gefährliche Neigung, immerhin handelte es sich um Fremde, die ihr zufällig über den Weg liefen. Man konnte nie wissen, welche Vorlieben sie hegten und welche Begierden in ihnen lauerten. Natürlich war Ayumi sich dieser Gefahr bewusst gewesen. Deshalb hatte sie Aomame als besonnene Partnerin gebraucht. Jemanden, der sie bremste und auf sie aufpasste.
    Auch Aomame hatte Ayumi gebraucht. Die junge Polizistin besaß Eigenschaften, die Aomame fehlten. Sie hatte eine offene, heitere Persönlichkeit, und andere fühlten sich in ihrer Gegenwart wohl. Sie war liebenswürdig, verfügte über natürliche Neugier und die Fähigkeit zu kindlicher Begeisterung. Man konnte sich gut mit ihr unterhalten, und sie hatte volle Brüste, die viele Blicke auf sich zogen. In ihrer Gegenwart brauchte Aomame nur ein geheimnisvolles Lächeln aufzusetzen. Meist wurden die Männer dann neugierig und wollten wissen, was sich dahinter verbarg. In dieser Hinsicht waren Aomame und Ayumi eine ideale Kombination. Eine unschlagbare Sexmaschine.
    Egal, in welcher Lage ich mich befinde, ich hätte mich mehr um sie kümmern sollen, dachte Aomame. Mehr auf ihre Gefühle eingehen, sie festhalten. Das ist es, was Ayumi sich gewünscht hat. Sie wollte bedingungslos akzeptiert und in die Arme genommen werden. Sich – und sei es auch nur ein einziges Mal – fallen lassen. Aber ich konnte ihr dieses Bedürfnis nicht erfüllen. Mein Hang zum Selbstschutz und die Angst, Tamakis Andenken zu verraten, waren einfach zu stark.
    Und so war Ayumi ohne Aomame ganz allein in die Nacht hinausgegangen und erdrosselt worden. Mit verbundenen Augen, die Hände mit echten kalten Handschellen gefesselt, den Mund mit Strümpfen oder Unterwäsche zugestopft. Das, was Ayumi oft selbst befürchtet hatte, war Wirklichkeit geworden. Hätte Aomame mehr Bereitwilligkeit gezeigt, wäre sie an jenem Tag vielleicht nicht allein in die Stadt aufgebrochen. Hätte Aomame angerufen und sie gebeten, mitzukommen. Und sie wären zu zweit gewesen, hätten in größerer Sicherheit mit irgendwelchen Männern geschlafen und aufeinander aufgepasst. Doch vielleicht hatte Ayumi inzwischen Hemmungen gegenüber Aomame empfunden. Denn Aomame hatte sie nicht ein einziges Mal von sich aus angerufen und gefragt, ob sie zusammen ausgehen könnten.
    Gegen vier Uhr morgens hielt es Aomame nicht mehr allein in ihrer Wohnung aus. Sie zog Sandalen an und lief in

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