1Q84: Buch 1&2
klopfte zweimal. Dann öffnete er – ohne eine Antwort abzuwarten – die Tür mit einer Schlüsselkarte, betrat den Raum und blickte sich darin um. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass alles normal war, nickte er dem Kahlen zu.
»Bitte, treten Sie ein«, sagte der mit rauer Stimme.
Aomame ging hinein. Der Kahle folgte ihr, schloss die Tür und legte von innen die Kette vor. Die Ausmaße des Raumes überstiegen die eines normalen Hotelzimmers bei weitem. Es gab darin eine große Sitzgruppe und einen Büroschreibtisch. Fernseher und Kühlschrank waren ebenfalls riesig. Wahrscheinlich handelte es sich um den Wohnraum einer besonderen Suite. Vom Fenster hatte man einen Ausblick auf das nächtliche Tokio, den man sicherlich für einen horrenden Aufpreis buchen konnte. Nach einem Blick auf seine Armbanduhr bot der Kahle Aomame einen Platz auf dem Sofa an. Sie gehorchte. Die blaue Sporttasche stellte sie neben sich.
»Möchten Sie sich umziehen?«, fragte der Kahle.
»Wenn es geht«, sagte Aomame. »In meinem Trikot kann ich besser arbeiten.«
Der Kahle nickte. »Vorher müssen wir Sie bitten, sich kurz durchsuchen zu lassen. Es tut mir leid, aber das ist Teil unserer Arbeit.«
»Das geht schon Ordnung. Durchsuchen Sie mich ruhig«, sagte Aomame. Keinerlei Anspannung mischte sich in ihre Stimme. Sie klang sogar, als würde sie sich ein wenig über die Nervosität der Männer amüsieren.
Der Pferdeschwanz stellte sich neben sie und tastete sie mit beiden Händen ab, um sich zu vergewissern, dass sie auch nichts Verdächtiges an ihrem Körper befestigt hatte. Unter der dünnen blauen Baumwollhose und der Bluse konnte man ohnehin nichts verstecken, und er hätte gar nicht groß suchen müssen. Aber er folgte einem festgelegten Protokoll. Seine Hände schienen steif vor Anspannung. Man konnte beim besten Willen nicht sagen, dass er sonderlich geschickt war. Vielleicht hatte er noch nie eine Frau durchsucht. An den Schreibtisch gelehnt, beobachtete der Kahle, wie sein Kollege seine Pflicht erfüllte.
Nach der etwas linkischen Leibesvisitation öffnete Aomame ihre Sporttasche. Neben einem einfachen Schminkset und einem Taschenbuch lagen darin eine dünne Sommerstrickjacke, ihr Sporttrikot sowie das große und das kleine Handtuch. Außerdem eine kleine perlenbestickte Handtasche, in der sich ihre Brieftasche, ein Portemonnaie für Kleingeld und ein Schlüsselanhänger befanden. Aomame nahm einen Gegenstand nach dem anderen heraus und reichte ihn dem Pferdeschwanz. Zum Schluss holte sie den bewussten schwarzen Plastikbeutel heraus und öffnete den Reißverschluss. Unterwäsche zum Wechseln, Tampons und Monatsbinden befanden sich darin.
»Da ich bei meiner Arbeit stark schwitze, brauche ich Wäsche zum Wechseln«, sagte Aomame. Sie nahm die weiße Spitzenunterwäsche heraus und machte Anstalten, sie vor dem Mann auszubreiten. Der Pferdeschwanz errötete ein wenig und nickte mehrmals kurz, als wolle er sagen, ich verstehe, danke, das genügt. Aomame fragte sich, ob er womöglich nicht sprechen konnte.
Sie packte ihre Unterwäsche und die Hygieneartikel in aller Ruhe wieder in den Beutel, zog den Reißverschluss zu und legte ihn zurück in die Tasche, als sei nichts gewesen. Diese Typen sind tatsächlich Amateure, dachte sie. Wer beim Anblick von Damenunterwäsche und Monatsbinden rot wird, ist als Bodyguard nicht geeignet. Tamaru hätte in einem Fall wie diesem jede Frau von Kopf bis Fuß durchsucht, und wenn es Schneewittchen persönlich gewesen wäre. Er hätte alles, Büstenhalter, Hemdchen und Höschen, hervorgekramt und sich mit eigenen Augen bis auf den Grund des Beutels von dessen Inhalt überzeugt. Für ihn waren Dessous – das hatte natürlich auch etwas damit zu tun, dass er durch und durch schwul war – nicht mehr als Stoffstücke. Zumindest hätte er den Beutel in die Hand genommen und sein Gewicht geprüft. Auf diese Weise hätte er die in das Taschentuch gewickelte Heckler & Koch (sie wog immerhin fast 500 Gramm) und das Hartschalenetui mit dem Eispick garantiert entdeckt.
Die beiden hier waren wirklich keine Profis. Vielleicht konnten sie ganz gut Karate. Und sicher hatten sie ihrem Leader unbedingte Treue geschworen. Aber Amateur blieb eben doch Amateur. Wie die alte Dame gesagt hatte. Aomames Vermutung, dass sie sich an einen Beutel mit so vielen weiblichen Accessoires nicht heranwagen würden, hatte sich bestätigt. Natürlich war das ein gewagtes Spiel gewesen, aber im Grunde hatte sie mit keinem
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