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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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wir nicht betreten dürfen oder auf keinen Fall betreten sollten. Dies anzuerkennen und ihnen höchste Ehrerbietung zuteil werden zu lassen, gilt allen Glaubensrichtungen als wichtigstes Prinzip. Sie verstehen, was ich Ihnen sagen möchte?«
    »Ich glaube schon«, erwiderte Aomame. »Ob ich es akzeptiere, ist eine andere Frage.«
    »Natürlich«, sagte der Kahle. »Selbstverständlich brauchen Sie es nicht zu akzeptieren. Es ist unser Glaube und nicht Ihrer. Aber heute werden Sie vielleicht etwas Besonderes sehen, das Ihren Unglauben überwindet. Ein außergewöhnliches Wesen .«
    Aomame schwieg. Ein außergewöhnliches Wesen .
    Der Kahle kniff die Augen zusammen und taxierte einen Moment lang ihr Schweigen. »Ganz gleich, was Sie sehen werden«, sagte er dann gelassen, »Sie werden nirgendwo darüber sprechen. Es würde unser Heiligstes unwiderruflich beflecken, wenn etwas davon nach außen dränge. Es wäre, als würde ein schöner klarer Teich mit etwas Widerlichem verschmutzt. So empfinden wir es, ganz gleich, was die irdische Gerichtsbarkeit oder die Allgemeinheit davon hält. Bitte, haben Sie Verständnis. Wenn Sie dazu imstande sind und Ihr Versprechen halten, werden wir Sie reichlich belohnen.«
    »Ich habe verstanden«, sagte Aomame.
    »Unsere Gemeinschaft ist klein«, fuhr er fort. »Aber wir haben ein starkes Herz und einen langen Arm.«
    Aha, einen langen Arm also, dachte Aomame. Wie lang, das werde ich jetzt wohl herausfinden.
    Mit verschränkten Armen an den Schreibtisch gelehnt, musterte er Aomame. Sein Blick war abschätzend, als kontrolliere er, ob ein Bilderrahmen an der Wand gerade hing. Sein Kollege mit dem Pferdeschwanz verharrte noch immer in der gleichen Haltung. Auch sein Blick war auf Aomame gerichtet. Unverändert und ununterbrochen.
    Der Kahle sah auf die Uhr.
    »Gut, gehen wir hinein«, sagte er. Er räusperte sich trocken und durchschritt feierlich den Raum, wie ein Heiliger, der über einen See wandelt. Er klopfte zweimal leicht an die Tür zum Nebenzimmer, öffnete sie, ohne eine Antwort abzuwarten, verbeugte sich leicht und trat ein. Aomame nahm ihre Sporttasche und folgte ihm. Während sie mit festen Schritten über den Teppichboden ging, vergewisserte sie sich, dass sie nicht unregelmäßig atmete. Ihr Finger lag entschlossen am Abzug einer imaginären Pistole. Keine Angst, es ist wie immer, sagte sich Aomame und fürchtete sich dennoch. Es war, als klebten Eissplitter an ihrem Rückgrat. Aus einem Eis, das nicht so leicht schmelzen würde. Ich bin gelassen, ich bin ganz ruhig und fürchte mich aus tiefster Seele .
    Es gibt Bereiche auf dieser Welt, die wir nicht betreten dürfen oder auf keinen Fall betreten sollten, hatte der Mann mit dem rasierten Kopf gesagt. Aomame wusste, was er meinte. Sie hatte selbst in einer Welt gelebt, in deren Zentrum ein solcher Bereich lag, oder nein, wahrscheinlich lebte sie in Wirklichkeit noch immer in dieser Welt. Und merkte es nur nicht.
    Aomame sprach wieder ihr Gebet, diesmal stumm und ohne die Lippen zu bewegen. Dann holte sie einmal tief Luft und betrat den nächsten Raum.

KAPITEL 8
    Tengo
    Wenn die Katzen kommen
    Nach dem Abend, an dem Yasuda Tengo angerufen hatte, um ihm mitzuteilen, seine Frau sei verlorengegangen und würde ihn nie wieder aufsuchen, und Ushikawa ihm kaum eine Stunde später eröffnet hatte, dass er und Fukaeri gemeinsam die Rolle von Hauptträgern eines »gedankenverbrecherischen« Virus spielten, verlief der Rest der Woche ungewöhnlich ruhig. Die Botschaften beider Männer waren von tieferer Bedeutung für ihn (anders konnte er es sich nicht vorstellen). Sie hatten sie verkündet wie Römer, die in ihrer Toga ein Podest auf dem Forum bestiegen und den interessierten Bürgern eine Bekanntmachung verlasen. Und beide hatten aufgelegt, ehe Tengo sich äußern konnte.
    Nach den beiden abendlichen Anrufern hatte sich niemand mehr bei ihm gemeldet. Weder per Telefon noch per Post. Es klopfte auch nicht an der Tür, und nicht einmal eine kluge Brieftaube gurrte vor seinem Fenster. Weder Komatsu noch Professor Ebisuno, weder Fukaeri noch Kyoko Yasuda schienen Tengo etwas mitzuteilen zu haben.
    Tengo hatte auch seinerseits das Interesse an diesen Menschen verloren. Nein, nicht nur an ihnen, ihm schien das Interesse an allen Dingen abhandengekommen zu sein. Die Verkaufszahlen von Die Puppe aus Luft , wo Fukaeri war und was sie tat, Komatsus raffinierte Strategien, das Ergebnis von Professor Ebisunos eiskalten Machenschaften,

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