1Q84: Buch 3
hierher zurückkommst. Denn hier gehörst du hin.«
Tengo nahm seine Tasche und hängte sie sich über die Schulter. »Also, dann gehe ich jetzt.«
Sein Vater hielt die Augen fest geschlossen, ohne etwas zu sagen oder sich zu bewegen. Wie immer. Dennoch strahlte er mit einem Mal eine gewisse Nachdenklichkeit aus. Tengo hielt den Atem an und wartete gespannt. Er hatte das Gefühl, sein Vater könnte plötzlich die Augen aufschlagen und sich aufrichten. Aber nichts geschah.
Die spinnenarmige und -beinige Krankenschwester saß noch an der Rezeption. Tamaki stand auf dem Plastikschildchen an ihrer Brust.
»Ich fahre jetzt wieder nach Tokio«, sagte Tengo zu ihr.
»Schade, dass Ihr Vater in der Zeit, in der Sie hier waren, nicht wieder zu Bewusstsein gekommen ist«, sagte sie teilnahmsvoll. »Aber es hat ihn sicher gefreut, dass Sie so lange hier waren.«
Darauf fiel Tengo keine passende Antwort ein. »Bitte grüßen Sie die anderen Schwestern von mir. Sie alle haben mir sehr geholfen.«
Am Ende verpasste er nun doch Schwester Tamura mit der Brille und die vollbusige Schwester Omura mit dem Kugelschreiber im Haar. Darüber war er ein bisschen traurig. Sie waren sehr tüchtige Krankenschwestern und immer sehr nett zu ihm gewesen. Aber vielleicht war es sogar besser, ihnen nicht mehr zu begegnen. Denn er wollte die Stadt der Katzen ja allein verlassen.
Als der Zug in Chikura aus dem Bahnhof fuhr, dachte er an die Nacht, die er bei Kumi Adachi verbracht hatte. Es kam ihm nicht so vor, als sei das erst gestern gewesen. Die übertrieben prächtige Tiffanylampe, das unbequeme Sofa, die Lacher im Fernsehen aus der Nachbarwohnung. Der Ruf der Eule im Wäldchen, der Haschischrauch, das T-Shirt mit dem Smiley, das Kratzen von Kumis dichtem Schamhaar an seinem Bein. Dafür, dass all das nicht einmal einen Tag zurücklag, erschien es ihm sehr weit fort. Sein innerer Maßstab funktionierte nicht richtig. Wie bei einer schlecht tarierten Waagschale kam der Kern der Dinge bis zum Schluss nicht ins Gleichgewicht.
Plötzlich verunsichert, blickte Tengo sich um. War das die echte Realität? Oder war er womöglich in einer falschen Realität gelandet? Er fragte einen anderen Fahrgast, ob dies der Zug nach Tateyama sei. Ja, keine Sorge, er sitze im richtigen Zug. In Tateyama konnte er in den Express nach Tokio umsteigen. Allmählich ließ er die Stadt der Katzen am Meer hinter sich.
Als er umgestiegen war und seinen Platz eingenommen hatte, übermannte ihn der Schlaf, als habe er nur darauf gewartet. Tengo schlief so tief, als habe er den Boden unter den Füßen verloren und sei in ein stockdunkles, bodenloses Loch gefallen. Die Lider fielen ihm zu, und im nächsten Augenblick war sein Bewusstsein ausgeschaltet. Erst hinter Makuhari wachte er wieder auf. Im Zug war es nicht besonders warm, aber er war schweißnass unter den Achseln und am Rücken. Er hatte einen fürchterlichen Geschmack im Mund, der ihn an die abgestandene Luft im Krankenzimmer seines Vaters erinnerte. Er zog einen Kaugummi aus der Tasche und steckte ihn in den Mund.
Nie mehr würde er in diese Stadt zurückkehren, dachte Tengo. Zumindest nicht, solange sein Vater noch lebte. Natürlich konnte man nichts auf der Welt mit hundertprozentiger Sicherheit behaupten. Aber in dieser Stadt am Meer hatte er nichts mehr zu suchen, das wusste er.
Als er in die Wohnung zurückkam, war Fukaeri nicht da. Er hatte dreimal geklopft, dann Pause, dann zweimal. Dann hatte er aufgeschlossen. Es war ganz still in der Wohnung und erstaunlich sauber. Alles Geschirr stand im Schrank, Tisch und Schreibtisch waren perfekt aufgeräumt, der Mülleimer war geleert. Es war auch staubgesaugt worden. Das Bett war gemacht, und weder Bücher noch Schallplatten lagen herum. Die gewaschene Wäsche lag säuberlich gefaltet auf dem Bett.
Fukaeris große Schultertasche war nicht mehr da. Wie es aussah, hatte sie die Wohnung nicht überstürzt verlassen, weil ihr plötzlich etwas eingefallen oder etwas geschehen war. Sie schien auch nicht nur vorübergehend ausgegangen zu sein. Sie hatte beschlossen, auszuziehen, in Ruhe die Wohnung saubergemacht und sie anschließend verlassen. Tengo stellte sich vor, wie Fukaeri allein staubsaugte und überall mit dem Staublappen herumwischte. Es passte nicht recht zu seinem Bild von ihr.
Als er den Briefkasten aufschloss, fand er den Wohnungsschlüssel. Aus der Menge der Post konnte er schließen, dass sie am Tag zuvor ausgezogen war. Das letzte Mal hatte
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