1WTC
beheben ließen. In beiden Fällen wäre es aus Sicht des Auftraggebers sinnvoll, das Projekt fortzuführen, die Abläufe weiter zu verfeinern und das Verhalten der Testpersonen zu beobachten.
Für Tom gibt es aber noch eine andere Schlussfolgerung: Der Fehler ist grundsätzlicher Natur.
Tom hat sich in der Armee immer wohl gefühlt, weil dort jeder wusste, was richtig und was falsch war. Keine Fehler zu machen war einfach, weil es die einzige Option war.
»Why not?«, antwortete Philippe Petit, Hochseilartist, nachdem er am 7. August 1974 auf einem Seil balanciert war, das er in 417 Metern Höhe zwischen den damals noch nicht fertiggestellten Türmen des World Trade Centers gespannt hatte. Vierzig Minuten Performance über dem tödlichen Abgrund. »Why not?«
Die Hebel der Maschinerie sind in Bewegung gesetzt, Entscheidungen getroffen, Gelder freigegeben. Zuständigkeiten, Informationsflüsse und Sicherheitsstrukturen um eine Lücke herum organisiert, in die unbeobachtet das Verhörzentrum eingefügt werden soll. Tom ist klar, dass er eigentlich keinen Handlungsspielraum hat. Die Dinge nehmen ihren Lauf, er ist ein kleines Zahnrad im Getriebe. Aber Tom ist entspannt, die Fehleranalyse hat ihm einen unerwarteten Ausweg aufgezeigt. Sein minimalistischer Entwurf ist ambitioniert, und, rein architektonisch gesehen, auch gar nicht schlecht. Sunners Ergänzung, einen zweiten Mann als Gesprächspartner neben den Gefangenen zu setzen, ist auch ziemlich gut. Vielleicht könnte das Ganze sogar aufgehen, für einige wenige Momente – je nachdem wie gut die Drogen wirken – könnte der Gefangene tatsächlich glauben, er sei im Paradies oder stünde zumindest kurz davor. Aber lange wird diese Phase nicht anhalten, denn das ganze Projekt hat einen entscheidenden Denkfehler. Und der ist Sunner nicht aufgefallen, weil er in seinen eigenen Vorstellungen gefangen ist. Und genau dieser Denkfehler könnte die Lösung sein.
Tom will das Verhörzentrum genau so entwerfen, wie Sunner es sich erträumt. Er soll sein Paradies bekommen, das Paradies, in dem Sunner am liebsten selbst einmal gefoltert werden würde. Er soll gefälligst einen Steifen kriegen, wenn er sich die Pläne ansieht und sich dabei vorstellt, all die CIA-Prostituierten zu vögeln, die Tom ihm in die Zeichnungen collagiert. Postmoderner Kitsch, das maximale Klischee. Ein künstliches Paradies mit eingebautem Puff, ein Architektursurrogat wie das Venetian, nur eben auf Alhambra getrimmt, mit bauchtanzenden Huris statt klimpernder Spielautomaten. Besser als Las Vegas.
The Venetian Hotel Resort Casino. Luxus Hotel in Las Vegas. 1999 eröffnete Nachbildung von Venedig. Neben über viertausend Hotelzimmern und einem elftausend Quadratmeter großen Kasino gibt es im Venetian eine Nachbildung der Rialto-Brücke und einen künstlichen Canale Grande, auf dem von Gondolieri gelenkte Boote fahren. Der Sonnenuntergang kann simuliert werden, und auch die Kunst hat ihren Platz in der künstlichen Welt: Am 7. Oktober 2001 eröffnete Guggenheim in Kooperation mit der Hermitage Sankt Petersburg eine Außenstelle im Venetian, Schwerpunkte der Dependance in der Kasino-Metropole waren Impressionismus und frühe Moderne. Sie wurde 2008 wieder geschlossen.
2003 erweitert man das Venetian, ein neuer Turm bietet tausend weitere Betten. Wegen des großen Erfolgs in Las Vegas gibt es seit 2007 ein asiatisches Venetian in Macao.
Tom geht ans Regal und sucht die Unterlagen über islamische Architektur, die er vor dem Entwurf der polnischen Kuppel zusammengestellt hat: Ausschnitte aus alten Gedichten, Reiseberichte aus dem 19. Jahrhundert, Gemälde von Orientreisenden. Und Fotos und Pläne islamischer Architektur,
Die Große Moschee in Cordoba.
Madrasa az-Zahiriyya in Damaskus.
Die Madrasa bei der Masgig-i Gami in Isfahan.
Die Hagia Sophia in Istanbul.
Der Felsendom in Jerusalem.
Die Moschee des Ahmad ibn Tulun und das Grab des al-Mansur Qalawun in Kairo.
Die Koutoubia-Moschee in Marrakesch.
Tom zeichnet wie ein Verrückter. Er überlagert die Alhambra mit dem Venetian, montiert Ausschnitte aus Elle Decoration mit Nacktfotos aus dem Playboy .
Er entwirft silberne Tabletts, Schalen und Trinkgefäße, in denen den Gefangenen Erfrischungen serviert werden, sammelt Rezepte für Speisen, die professionelle Köche zubereiten sollen, benennt Düfte, mit denen Kissen und Gewänder parfümiert werden könnten: Rose, Jasmin, Aprikose. In einem begleitenden Text erklärt er ausführlich,
Weitere Kostenlose Bücher