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1WTC

1WTC

Titel: 1WTC Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich von Borries
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zwanzig Minuten Verspätung.
    Mikael sieht sich um, entdeckt Schläuche und Plastikplanen, die sich unter der Decke entlangziehen, von den Check-in-Schaltern über die Restaurantzone hinweg in die Bereiche hinein, zu denen Besucher keinen Zutritt haben. Sieht fast aus wie eine Kunstinstallation. Mikael fragt einen der Sicherheitsleute, was es mit den Schläuchen auf sich hat.
    »Die Decke ist undicht.« Das Wasser wird in den unter der Decke hängenden Planen aufgefangen und durch die Schläuche abgeleitet. Intervention in eine kaputte Infrastruktur. Auch eine Form von Kunst.
    Der Flug von Detroit nach New York verläuft unerwartet ruhig. Keine Turbulenzen, kein Gewitter. Durch das Fenster kann Syana die Felder sehen, die Wälder, dann endlich das Meer, schließlich, beim Anflug auf JFK, im Hintergrund die Skyline von Manhattan.
    Syana freut sich auf Mikael. Sie hat sich ähnlich angezogen wie an dem Tag, als sie Mikael abgeholt hat. Wieder die bestickte Bluse, wieder die Schuhe mit den goldenen Riemen. Dazu allerdings einen kurzen Rock. Als sie durch die letzte Absperrung geht, sieht sie ihn in der Mitte der Wartehalle stehen, den Kopf im Nacken, den Blick auf die Decke gerichtet. Was für ein Träumer. Syana muss lachen.
    Mikael atmet Syanas vertrauten Geruch ein. Sie hat ihm gefehlt, trotz Jennifer. Die Szenen wiederholen sich. Die Fahrt zurück mit der U-Bahn. Der Fußweg zu Syanas Apartment.
    Der Fahrstuhl mit der kleinen Überwachungskamera an der Decke. Wieder bringt Syana den Aufzug mit einem Knopfdruck zum Halten. Sie greift ihm in die Hose, er zieht ihren Rock nach oben. Jemand flucht, dass der Fahrstuhl schon wieder feststeckt. Eine Viertelstunde später sind die beiden in Syanas Apartment.
    Mikael betrachtet Syana, die nackt neben ihm liegt. Im Spiegel, der an der Wand lehnt, sieht er, wie sich ihre Brüste bei jedem Atemzug heben und senken. Sein Blick tastet ihre dunklen Brustwarzen ab und folgt der dünnen Haarlinie von ihrem Bauchnabel bis zum Schritt. Mikael weiß, dass Syana schon wach ist und sich nur schlafend stellt. Er sieht sie blinzeln. Mikael legt sich wieder hin, ohne Syana in den Arm zu nehmen.
    Als Syana aufwacht, spürt sie Mikaels Blick auf ihrem nackten Körper. Ein Blick, der sucht, prüft und abwägt. Syana stellt sich schlafend, lässt ihre Augen geschlossen. Öffnet die Lider nur ein ganz klein wenig. Schaut aus dem Fenster in den Himmel. Sieht die Wolken vorbeiziehen, am liebsten würde sie das Laken bis über die Schultern hochziehen, aber dann wüsste Mikael, dass sie wach ist. Sie will noch eine Weile in Ruhe die Wolken anschauen. Etwas ist anders als sonst.
    »Sag mal«, ruft Syana, als Mikael aus der Dusche kommt, »warum warst du eigentlich gar nicht hier, als ich weg war?«
    »Was meinst du?«
    »Wenn ich hier bin, schläfst du fast jede Nacht bei mir. Und als ich das letzte Mal weg war, hast du auch hier gewohnt. Aber jetzt hast du in über zwei Monaten keine einzige Nacht in der Wohnung verbracht!«
    »Wie kommst du denn darauf? Hast du dir mal eben alle Videos angekuckt?«
    Syana muss lachen. »Nein, dafür hab ich ein Gesichtserkennungsprogramm. Das scannt alle Personen, die hier ein und aus gehen. Aber dein Gesicht ist nicht mal im Fahrstuhl aufgetaucht. Bis vorhin.« Syana grinst.
    Mikael weiß, das lügen zwecklos wäre. Er war nicht hier. Kein einziges Mal. In seinem Atelier hat er sein Material für den Film, und außerdem kann er dort Zeit mit Jennifer verbringen – ohne Kameras.
    »Warum antwortest du denn nicht?«
    »Was soll ich denn da antworten. Ja, ich war nicht hier, sondern in meinem Studio.«
    »Und, viel gearbeitet?« Syana spürt, dass Mikael ihr etwas verheimlicht.
    »Klar, ich hab an meinem Projekt gesessen. Außerdem war ich im Süden, in Texas und an der mexikanischen Grenze.«
    »Und?«
    »Was und?«
    »Na dein Projekt?«
    »Wie wir es besprochen haben. Der Film. Die verschiedenen Drehorte.«
    »Gibt’s inzwischen einen Plot?«
    »Nicht wirklich. Der Film wird eher minimalistisch-konzeptionell. Eine Frau rennt durch New York und ruft immer wieder ›Show you are not afraid.‹ Ich glaube, das kommt ganz gut. Prada Store, UN-Gebäude und so weiter, das wird ganz spannend. Die gleiche Performance, aber immer in einem anderen Kontext. Na ja, und dann mal schauen, wie die Passanten und Offiziellen an den Orten reagieren. Es ist eben ein Experiment.«
    Syana hakt nach. »Und, wer spielt sie?«
    »Wen?«
    »Na, deine Hauptfigur?«
    »Ach so, ja.

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