2 Heaven
aus, wie sein Bruder, doch viel schmaler. Die eingefallenen Wangen gaben ihm ein krankes Aussehen und bei genauerer Betrachtung erkannte Justin die vielen kleinen Schnitte, und Abschürfungen, die zum Teil schon vernarbt, Crispins Gesicht bedeckten.
„Dee?" Nur ein Hauch von einer Stimme, aber Justin zuckte zusammen, als hätte man ihn geschlagen. Crispin schlug die Augen auf. „Wer ist da?"
Justin räusperte sich. „Ich ... bin Justin. Ich, Entschuldigung, ich ..." Mist, dass ihm jetzt nichts Gescheites einfallen wollte. Crispin sah ihn an, das heißt, er drehte das Gesicht in seine Richtung - und nun erkannte Justin, dass er nicht sehen konnte. Diese Augen fixierten ihn nicht! Crispin Heaven war blind - zumindest sah es so aus.
„Sind Sie blind?", fragte er und bemerkte in dem Augenblick erschrocken, dass das nicht besonders taktvoll war. Crispins schmale Lippen verzogen sich zu einer Grimasse. „Ja. - Wer bist du, und wo ist Dämon?"
Justin biss sich auf die Unterlippe. Er betrachtete Crispins ausgemergelten Körper, beide Handgelenke waren mit dicken Bandagen verbunden. Ein unangenehmes Kribbeln durchfuhr
ihn. Er berührte ihn leicht an den Bandagen, sehr leicht, doch Cris hatte diese Berührung gespürt. „Warum haben Sie das gemacht?"
„Wer bist du, verdammt nochmal?" Crispin klang erschöpft. „Ihr Bruder hat mich angefahren - und mitgenommen, weil ... ich ... ahm, möchte nicht zum Arzt, und ich habe keine Wohnung." Justin fühlte sich auf eine sehr bedrückende Weise zu dem fremden jungen Mann hingezogen. Langsam setzte er sich zu ihm aufs Bett. Er nahm eine der bandagierten Arme und schob sie ein wenig weiter auf die Matratze. „Ich weiß nicht, ob Sie es hören wollen, ob es Sie interessiert", begann er langsam. „Aber es schadet auch nicht, wenn Sie es hören. Ich ... ich habe schon dreimal versucht, mich umzubringen. Das erste Mal, da war ich zehn. Ich habe Schlafmittel geschluckt, alles, was ich zu Hause finden konnte -aber es hat nicht gereicht. Als meine Mutter mich fand, alarmierte sie den Notarzt. Sie holten mich zurück." Justin räusperte sich. „Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, schlug mein Vater mich so, dass ich sofort wieder eingeliefert werden musste. Meinen Eltern wurde das Sorgerecht entzogen, ich landete im Heim. Dort war es schrecklich, die Hölle. Nach ein paar Monaten schnitt ich mir die Pulsadern auf. Aber sie fanden mich wieder rechtzeitig. Ich kam für eine Zeit in die Klapse, war total auf Dope. Sie glauben nicht, was die einem alles geben, damit man ruhig ist. Ich wurde entlassen, bin bald darauf abgehauen aus dem Heim. Dann die übliche Karriere. -Als es mir wieder sehr schlecht ging, habe ich mir noch einmal die Pulsadern aufgeschnitten, aber", er lachte humorlos, „wieder ohne Erfolg."
Cris schwieg einen Moment, dann fragte er leise: „Warum erzählst du mir das?"
„Ich habe etwas daraus gelernt. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, es ist nur so ein Gefühl. Es wäre nicht okay gewesen, wenn ich damals den Löffel abgegeben hätte. Es lohnt sich immer abzuwarten, ob es nicht doch besser wird. Verstehen Sie das? - Gott, nein, wahrscheinlich nicht. Es ist noch zu frisch bei Ihnen. - Aber Sie werden irgendwann verstehen, was ich meine. Das hier ist der absolute Tiefpunkt, aber es wird wieder bessere Zeiten geben." „Woher nimmst du diese Energie?", fragte Cris. Er klang zynisch, obwohl er das nicht gewollt hatte. Er hatte eigentlich gar keine Kraft für Zynismus.
„Ich weiß nicht. Aber eins kann ich Ihnen sagen - sterben werden Sie noch früh genug."
„Ich habe aber keine Lust, blind dahinzuvegetieren, mit diesen ... Erinnerungen", fauchte Crispin, auf einmal sehr zornig. „Und jetzt hau ab! Lass mich bloß zufrieden." Justin stand auf. Er wusste nicht, warum er das alles sagte, warum er glaubte, das sagen zu müssen.
„Das Leben ist zu wertvoll, als dass man es einfach so wegwerfen sollte." Dann verließ er Crispin und bemerkte erstaunt, als er die Tür hinter sich schloss, dass seine Knie zitterten. ...
Justin seufzte und lehnte sich im Sessel zurück. „Bereits nach einem Tag wollte Cris wieder mit mir sprechen. Dämon war darüber erstaunt - aber ich nicht minder. Ich unterhielt mich stundenlang mit ihm. Schätze, das hat ihm geholfen. - Und nach einer Woche fragte Dämon mich, ob ich bleiben wollte.
Ich hatte ein gutes Händchen für die Pferde - und für Cris ..."
„Wusste Dämon, dass du auf dem Strich warst?"
„Ja,
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