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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Diese Wesen wissen einfach nicht, was Disziplin ist - die Tierhälfte in ihnen ist zu stark.
    »Ich hoffe, dass du in einem richtigen Kampf wenigstens halb so tapfer sein wirst wie diese kleine Maus«, entgegnete ich, während ich den Fahrstuhl betrat. Als ich Kostjas Blick auffing, kam es mir so vor, als ob der junge Vampir aufgewühlt und wohl auch erleichtert schien, dass der grausame Spaß vorbei war.
    In meiner Abteilung erregte mein Erscheinen mit einer Maus
    in der Hand einiges Aufsehen.
    Anna Lemeschewa, unsere Schichtleiterin, wollte gerade ihre übliche Tirade über die Jugend vom Stapel lassen, die keine Disziplin mehr kenne. »Unter Stalin hätte man dich für eine fünfminütige Verspätung nach Kolyma geschickt, ins Lager, zum Kräuterkochen ...« In dem Moment sah sie das Mäuschen und erstarrte. Lenka Kirejewa kreischte auf und schrie: »Ach, wie niedlich.« Jeanne Gromowa kicherte und fragte, ob ich vorhabe, ein Diebeselixier zu brauen, für das gekochte Maus unverzichtbar ist, und was ich danach klauen wollte. Olja Melnikowa hörte auf, ihre Nägel zu lackieren, und gratulierte mir zur erfolgreichen Jagd.
    Ich legte die Maus mit einer Miene vor mir auf den Tisch, als
    käme ich nie ohne frische Maus zur Arbeit, und erzählte dann
    von dem Streich der beiden Wachleute.
    »Bist du deshalb zu spät gekommen?«, fragte Anna
    kopfschüttelnd.
    »Auch deshalb«, gab ich ehrlich zu. »Ich hatte furchtbares
    Pech mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, Anna Tichonowna.
    Und dann noch diese gelangweilten Nichtsnutze!«
    Anna Lemeschewa war eine alte und erfahrene Hexe, da sollte man sich durch ihr jugendliches Aussehen nicht täuschen lassen. Sie war etwa hundert Jahre alt und hatte genug gesehen, als dass ihr der Spaß mit der Maus noch sonderlich grausam vorkommen konnte.
    »Diese Tiermenschen haben keine Ahnung, was Dienst ist«, meinte sie dennoch mit zusammengekniffenen Lippen. »Als wir vor Reval standen, hieß es bei uns nur: Nimmst du einen Tiermenschen in die Wache, gib ihm gleich eine Hexe zur Aufsicht. Was wäre denn passiert, wenn ein Überfallkommando der Lichten genau in dem Moment hereingestürmt wäre, als die beiden Wachleute nur Augen für die Maus hatten? Die Maus hätte doch absichtlich von den Lichten ausgesetzt worden sein können. Empörend ist das. Ich glaube, du hättest eine strengere Strafe fordern sollen, Alissa.«
    »Die Knute«, sagte die Kirejewa leise. Sie schüttelte ihre Mähne roten Haars. Haare wie Lenka müsste man haben. Der einzige Trost: Alles andre an ihr beschwor gewiss keinen Neid herauf.
    »Ja, die Bestrafung mit der Knute sollte ruhig wieder angewendet werden«, erwiderte Anna kalt. »Wirf das Ding aus dem Fenster, Alissa.«
    »Das muss doch nicht sein«, widersprach ich. »Wegen solcher blöden Sachen entsteht dann im Bewusstsein der Allgemeinheit das verzerrte Bild der Dunklen! Übeltäter, Sadisten, Bestien... Warum sollen wir die Maus quälen?«
    »Es setzt etwas Energie frei«, sagte Olja, während sie den Nagellack zuschraubte. »Aber nur gaaanz wenig...«
    Sie fuchtelte mit den Händen in der Luft herum.
    »Tolle Freisetzung!«, schnaubte Jeanne amüsiert. »Die beiden brauchten so viel Kraft, um die imaginäre Katze zu schaffen, dass man ein Kilo Mäuse quälen müsste!«
    »Berechnen wir's doch«, schlug Olja vor. »Wenn wir diese Maus quälen, messen wir den Gesamtausstoß an Kraft ... wir brauchen nur noch eine Waage.«
    »Was seid ihr doch ...«, meinte Lena wütend. »Aber du hast dich klasse verhalten, Aliska! Kann ich die Maus vielleicht haben?«
    »Wozu?«, fragte ich eifersüchtig.
    »Ich schenk sie meiner Tochter. Sie ist ein kleiner Mensch von sechs Jahren, da wird es Zeit, dass sie sich um jemanden kümmert, für jemanden sorgt. Für Mädchen ist das genau das Richtige.«
    Einen Moment lang lastete eine unangenehme Stille über uns. Sicher, das war ganz normal. Nur selten bekommt ein Anderer auch ein Kind mit den Fähigkeiten eines Anderen. Sehr selten. Die Vampire haben's leichter - sie können ihr Kind initiieren -, die Tiermenschen auch, denn ihre Kinder erben fast immer ihre Fähigkeit, sich zu verwandeln. Aber wir und auch die Lichten haben kaum Chancen. Auch Lena hat es nicht geschafft. Obwohl ihr Mann ein Dunkler Magier ist, ein ehemaliger Mitarbeiter der Tagwache, der jetzt wegen einer Verletzung pensoniert und Geschäftsmann geworden ist.
    »Mäuse leben nicht sehr lange«, bemerkte Olja. »Das gibt dann ein Geheule...«
    »Keine Sorge,

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