2 - Wächter des Tages
alle Varianten durchspielen, sich nacheinander alle fähigen Lichten Magier vornehmen und versuchen, ihre schwachen Seiten zu finden... Dafür gab es sogar ein besonderes Programm, Richelieu. An qualifizierten Programmierern mangelte es der Tagwache nicht.
Nun musste er sich also auf seinen internen Computer verlassen, ein leistungsfähiges Gerät mit kleineren Macken.
Wer? Geser? Er dürfte ausscheiden, denn er war bereits in Gefilde vorgedrungen, in denen Andere von ihren Kollegen praktisch nicht mehr belangt werden konnten.
Objektiv sollte Edgar als Nummer zwei der Nachtwache Swetlana Nasarowa annehmen, doch sie würde für lange Zeit aus dem Spiel sein, weshalb er die Nummer zwei besser der Intrigantin Olga gab, einer alten Spezialistin für Gewaltaktionen, die gerade erst wieder ins Spiel zurückgekommen war. Oder an Ilja, den Magier ersten Grades. Zudem hegte Edgar den Verdacht, dies stelle längst nicht die Grenze von Iljas Fähigkeiten dar. Im Prinzip konnte er zu einem Großen heranwachsen, doch solche Metamorphosen brauchten Zeit und kosteten kolossale Anstrengungen. Vor allem seitens des Magiers. Ilja war jedoch noch zu jung, um auf die zahllosen einfachen, fast menschlichen Lebensfreuden zu verzichten.
Wer also? Olga oder Ilja? Wer von beiden war jetzt verletzbar?
Wie der sowjetische Spion Stirlitz aus dem Kultfilm der siebziger Jahre Siebzehn Augenblicke des Frühlings klappte Edgar den Tisch herunter und warf langsam die schematisierten Porträts auf die Servietten: eine schmale Frauensilhouette und ein längliches Gesicht mit Brille. Olga oder Ilja?
Olga. Sie war klug, erfahren, vorausschauend und rundum zynisch. Edgar kannte ihr genaues Alter nicht, vermutete aber zu Recht, dass Olga mindestens doppelt so alt war wie er selbst. Edgar wusste auch nicht, wie stark sie wirklich war - er hatte noch keine Gelegenheit gehabt, das zu prüfen und sich von ihrer Kraft zu überzeugen. Ehrlich gesagt, wollte er das aber auch gar nicht ... Ihr abermals die Fähigkeiten zu entziehen dürfte mit Sicherheit unglaublich schwer werden - alle, die erst kürzlich aus dem Gefängnis entlassen worden waren, hängen in der ersten Zeit enorm an ihrer Freiheit. Olga würde es sich tausendmal überlegen, bevor sie erneut ein Risiko einging und vor dem Tribunal landete. Außerdem war sie Gesers alte Liebe, und der Chef der Nachtwache würde sie gewiss mit besonderem Eifer verteidigen. An Sebulons Stelle würde Edgar sich hüten, Olga anzugreifen, weil ein wütender Geser ein weitaus gefährlicherer Gegner war als ein normaler Geser.
Nachdenklich fuhr er sich mit der Kappe des Filzstifts über die Nase und ixte die weibliche Figur auf der Serviette aus.
Ilja. Ein sehr starker Magier, mit dem Gesicht eines raffinierten Intelligenzlers, der aus irgendeinem Grund eine Brille trug, obwohl er seine Fehlsichtigkeit ohne weiteres selbst korrigieren könnte. Im Moment war er weder in Moskau noch in Europa. Er hielt sich auf Ceylon auf. Die Lichten der Moskauer Nachtwache waren in den letzten fünf Jahren übrigens verdächtig oft nach Ceylon geflogen. Was sie da wohl ausheckten?
Edgar machte sich einen Knoten im Gedächtnis: Diese Information musste er an die analytische Abteilung weiterleiten, sollten die sich mal den Kopf darüber zerbrechen... Obwohl sie ihr Augenmerk vermutlich ohnehin längst auf diese Besonderheit gerichtet hatten. Und wenn nicht? Edgar stand lieber wie ein Idiot da und pustete aufs Wasser, als sich später an heißer Milch den Mund zu verbrennen, weil sich niemand um Ceylon gekümmert hatte...
Hm, ja. Wenn Sebulon etwas gegen Ilja plante, würde er seine Pläne wohl kaum in Prag umsetzen. Und auch nicht jetzt. Oder hoffte er vielleicht, Ilja dorthin zu locken?
Edgar schob die Serviette weg, ohne die zweite Figur durchzustreichen, und nahm sich eine neue. Die letzte. Er teilte sie mit zwei senkrechten Linien in vier Sektoren und fing an, in jedem ein Porträt zu zeichnen. Zunächst nur drei, mit flüchtigen Strichen, aber dennoch unglaublich lebendig, im Stile eines Bidstrup oder Tschishikows.
Möglicherweise war an Edgar ein Karikaturist verloren gegangen.
Ilja, Semjon ... Igor. Der Angeklagte des Tribunals. Sollte er ihn mitzählen oder nicht? Vermutlich schon, denn er war der Verletzlichste von allen.
Nach kurzem Nachdenken zeichnete er in den vierten Abschnitt Anton Gorodezki. Den Einzigen, der immer noch seinen Familiennamen führte. Dennoch hatte er bereits den zweiten Grad erlangt, stand also
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