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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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der Moskauer Dunklen sehr gern mit ihr Sex in seiner Zwielichtgestalt gehabt hat, dass sie mehrmals an einem Hexensabbat mit Opferung und an Gruppenorgien teilgenommen hat. Warum hast du das verschwiegen? Du hättest es ruhig sagen können, ich weiß es sowieso. Geser hat mir ihr vollständiges Dossier überlassen ... Er hat sich alle Mühe gegeben. Ich weiß das alles.«
    »Und trotzdem liebst du sie?«, fragte Anton naiv.
    Igor hob den Kopf, und sie sahen einander in die Augen. Dann streckte Igor die Hand aus und berührte vorsichtig Antons Arm. »Sei nicht böse auf mich, mein Lichter Bruder. Verachte mich nicht. Wenn du das nicht verstehen kannst, dann geh lieber. Schau dir Prag an...«
    »Ich versuche, es zu verstehen«, flüsterte Anton. »Ehrenwort, ich versuche es. Alissa Donnikowa war eine ganz gewöhnliche Hexe. Nicht besser und nicht schlechter als alle andern. Eine kluge, schöne und strenge Hexe. Die eine Spur von Bösem und Schmerz hinter sich hergezogen hat. Wie kannst du sie lieben?«
    »Ich habe sie anders gesehen«, antwortete Igor. »Als eine ruhelose und unglückliche Frau, die unbedingt jemanden lieben wollte. Die sich zum ersten Mal selbst verliebt hat. Eine Frau, die zu unserm Pech die Dunklen zuerst entdeckt haben. Sie haben für ihre Initiierung jenen Moment gewählt, als in ihrer Seele das Dunkel das Licht überwog. Bei heranwachsenden Frauen ist das sehr leicht, das weißt du selbst. Danach lief dann alles wie am Schnürchen. Das Zwielicht saugte ihre ganze Güte aus ihr heraus. Das Zwielicht hat sie zu dem gemacht, was sie dann war.«
    »Du liebst nicht Alissa selbst«, sagte Anton, ohne zu bemerken, dass er von der Donnikowa in der Gegenwart sprach. »Du liebst ein idealisiertes... nein, ein alternatives Bild von ihr! Jene Alissa, die es nie gab und auch jetzt nicht gibt!«
    »Jetzt bestimmt nicht. Und trotzdem hast du nicht völlig Recht, Anton. Ich liebe die, die sie war, als sie ihre Fähigkeiten als Andere eingebüßt hatte. Als sie, wenn auch nur kurz, von dem grauen Spinnennetz befreit war. Musstest du denn noch nie verzeihen?«
    »Doch«, antwortete Anton und verstummte kurz. »Doch. Aber nicht so etwas.«
    »Dann hast du Glück gehabt, Antoschka.«
    Igor goss noch einmal Wodka ein.
    »Dann beantworte mir eine Frage.« Obwohl Anton nicht versuchte, Igor zu schonen, brachte er die Worte nur mit Mühe heraus. »Warum hast du sie dann umgebracht?«
    »Weil sie eine Hexe war«, erklärte Igor ausgesprochen gelassen. »Weil sie Böses und Schmerz brachte. Weil: Ein Mitarbeiter der Nachtwache verteidigt die Menschen immer und überall gegen das Böse, auf jedem Territorium, ungeachtet seiner persönlichen Einstellung zur Situation. Hast du noch nie darüber nachgedacht, warum es in unserer Satzung diese Präzisierung gibt? Über die persönliche Einstellung zur Situation? Wobei es besser persönliche Einstellung zu den Dunklem heißen sollte, aber das klingt irgendwie nicht so gut. Deshalb griff man auf diesen Eume... Euphe...«
    »Euphemismus...«, sagte Anton wie hypnotisiert.
    »... diesen Euphemismus zurück.« Igor lächelte. »Genau. Erinnerst du dich noch, als wir die Vampirin auf dem Dach verhaftet haben? Du hast auf sie geschossen, aber dann ist dein Nachbar, der Vampir, gekommen. Und du hast die Pistole gesenkt.«
    »Ich war dabei, einen Fehler zu machen.« Anton zuckte mit den Schultern. »Sie gehörte vor ein Gericht. Deshalb habe ich auch aufgehört...«
    »Nicht doch, Anton. Du hättest sie erschossen. Und jeden andern Vampir, der eine Verbrecherin verteidigen wollte, ebenfalls. Aber vor dir stand kein Vampir, sondern dein Freund ... gut, vielleicht nicht dein Freund, sondern nur ein Bekannter. Und deshalb hast du aufgehört. Aber jetzt stell dir mal vor, du hättest vor der Wahl gestanden: Entweder du feuerst deine Pistole ab oder schenkst der Verbrecherin die Freiheit.«
    »Dann hätte ich sie erschossen«, sagte Anton scharf. »Und Kostja auch. Dann hätte ich keine andere Wahl gehabt. Es wäre mir sehr schwer gefallen, sicher, aber ich ...«
    »Und wenn es nicht nur ein guter Bekannter gewesen wäre, sondern deine Liebste? Eine Menschenfrau oder eine Andere, eine Zauberin, egal in welcher Einfärbung...«
    »Dann hätte ich geschossen...«, flüsterte Anton. »Trotz allem hätte ich geschossen.«
    »Und was weiter?«
    »Ich hätte es einfach nicht zu einer solchen Situation kommen lassen. Ich hätte es nicht dazu kommen lassen!«
    »Natürlich nicht. Wir kommen nicht

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