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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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einmal auf die Idee, uns zu verlieben, sobald wir die Aura des Dunkels erblicken. Wie die Dunklen auch nicht, sobald sie die Aura des Lichts sehen. Aber uns hat es hinterrücks erwischt, Anton. Als wir aller Kräfte beraubt waren. Wir hatten keine Wahl...«
    »Sag mir eins, Igor.« Anton holte Luft. Der Wodka zeigte keine Wirkung, und ihr Gespräch brachte, selbst wenn es noch so persönlich war, keine Erleichterung. »Sag mir, warum du Alissa nicht einfach vom Gelände des Ferienlagers vertrieben hast? Warum hast du Geser nicht um Rat und Hilfe gebeten? Damit hättest du die Menschen geschützt und gleichzeitig...«
    »Sie wäre nicht gegangen«, entgegnete Igor scharf. »Sie hatte schließlich eine offizielle Erlaubnis, im Artek zu sein. Weißt du, was am schrecklichsten ist, Anton? Das Recht auf Wiederherstellung ihrer Kräfte hat Sebulon mit Geser ausgehandelt, indem er ihm das Recht einräumte, dass ein Lichter Magier dritten Grades ebenfalls neue Kräfte schöpfen durfte. Das war ich! Verstehst du jetzt, wie eins zum andern passt?«
    »Bist du sicher, dass sie nicht gegangen wäre?«, fragte Anton.
    Igor hob schweigend sein Glas. Zum ersten Mal an diesem
    Abend stießen sie an, brachten aber keinen Toast aus.
    »Ich bin nicht sicher, Anton. Das ist ja so schlimm, dass ich nicht sicher bin. Ich habe ihr gesagt... befohlen, das Feld zu räumen. Aber das war gleich in dem Moment, als wir erkannt haben, wer wir sind. Als wir nicht klar denken konnten, nur Adre- nalin rauschte...«
    »Wenn sie dich geliebt hätte«, sagte Anton, »dann wäre sie
    gegangen. Man hätte nur die richtigen Worte finden müssen...«
    »Vermutlich. Wer kann das jetzt noch sagen?«
    »Das tut mir so leid, Igor«, flüsterte Anton. »Natürlich nicht
    die Hexe Alissa, die nicht. Das kannst du von mir nicht
    verlangen. Um sie werde ich keine Träne vergießen. Aber du
    tust mir sehr leid. Und ich würde mir sehr wünschen, dass du
    bei uns bleibst. Dass du alles durchstehst, nicht daran
    kaputtgehst.«
    »Es gibt nichts, wofür ich noch leben möchte, Anton.«
    Bedauernd breitete Igor die Arme aus. »Versteh mich, nichts!
    Wahrscheinlich habe ich mich nämlich auch zum ersten Mal im
    Leben verliebt. Ich bin schon verheiratet gewesen... früher. 1945
    bin ich ein Anderer geworden ... als ich von der Front
    zurückkam, ein junger Hauptmann, die Brust voller Orden, ohne eine Schramme ... überhaupt hatte ich Glück, und erst
    später habe ich begriffen, dass ich das meinen latenten
    Fähigkeiten als Anderer zu verdanken habe. Und dann habe ich
    alles über die Wachen erfahren ... Ein neuer Krieg, verstehst
    du? Ein völlig gerechter, ohne Frage! Ich konnte weiter nichts
    richtig, als zu kämpfen, und mir wurde klar, dass ich hier eine
    neue Lebensaufgabe gefunden hatte. Für ein sehr langes Leben.
    Und dass ich mich nicht mit den Kümmernissen eines
    Menschen herumschlagen müsste oder mit ärgerlichen
    Krankheiten, nicht mehr nach Lebensmitteln anstehen ... Du
    kannst dir ja nicht vorstellen, Anton, was ganz stinknormaler
    Hunger ist, was echtes Schwarzbrot, was wirklich gepanschter
    Wodka ist ... was es heißt, dem Lackaffen von der in die satte Visage zu grinsen und bloß gelangweilt zu gähnen, nachdem er dich gefragt hat: >Warum haben Sie sich zwei Monate auf feindlichem Gebiet aufgehalten, wenn die Brücke bereits drei Tage nach Landung der Truppen gesprengt worden ist?<«
    Bei Igor machte sich der Wodka jetzt doch etwas bemerkbar. Er sprach schnell und wütend ... und keineswegs so, wie ein junger Magier aus der Nachtwache normalerweise spricht...
    »Ich bin zurückgekommen und habe meine Wilena angesehen, meine Lenotschka-Wilenotschka, eine junge und schöne Frau, die mir jeden Tag einen Brief geschrieben hat, ich lüge nicht, jeden Tag! Und du kannst dir nicht vorstellen, was für Briefe! Ich sah, dass sie sich sehr über meine Rückkehr freute, denn ich war gesund, nicht verkrüppelt und noch dazu ein Held! Eine Frau hatte damals selten so viel Glück. Aber sie hatte unglaubliche Angst, dass die neidischen Nachbarsweiber mir von all den Männern erzählen, die sie in diesen vier Jahren gehabt hatte, und davon, dass sie keinen Kummer gekannt hatte, und zwar nicht wegen meines Offizierspatents... Du verstehst immer noch nicht einmal die Hälfte von dem, was ich sage, nicht wahr? Aber ich habe mit einem Mal alles erkannt. Alles, auf einen Schlag. Und je länger ich sie betrachtete, desto mehr sah ich. Details, Einzelheiten. Und nicht nur,

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