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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Aura, diese gelb-blutrote Flamme der Jagd und des Hungers.
    Anscheinend fand ich nach und nach aus der Finsternis heraus. Aus diesem Abgrund. Der Tiermensch war die erste Stufe. Der Zöllner die zweite. Ob es eine lange Treppe war? Und was mich wohl erwarten würde, dort oben?
    Noch hatte ich deutlich mehr Fragen als Antworten.
    Erst hinter Tula wachte ich endgültig auf. Das Abteil war nach wie vor leer, doch jetzt begriff ich, dass ich selbst das wollte. Und ich begriff auch, dass meine Wünsche in dieser Welt für gewöhnlich in Erfüllung gingen. Der Bahnsteig des Kursker Bahnhofs zog langsam am Fenster vorbei. Gestiefelt und gespornt stand ich im Abteil und wartete, bis der Zug anhielt. Die unverständliche Stimme einer Ansagerin gab die Einfahrt des Sechsundsechziger auf dem und dem Gleis bekannt.
    Ich war in Moskau. Wusste aber immer noch nicht, was ich machen sollte.
    Den Gang verrammelten wie üblich bereits die ungeduldigsten Reisenden. Ich konnte warten, es gab sowieso nichts, wohin es mich gezogen hätte. Ich musste mich gedulden, bis mein sich belebendes Gedächtnis mir etwas einflüsterte, mir einen Stoß gab wie ein Viehtreiber einem faulen Maultier.
    Der Zug ruckelte ein letztes Mal und blieb dann stehen. Metallen klapperte es von der Waggontür her, die Kette der umgehend zum Leben erwachten Menschen erzitterte und schlängelte sich Glied für Glied heraus. Das übliche Szenario - besorgte Rufe, Begrüßungen, Versuche, sich wegen der Koffer, die man nicht alle auf einmal hatte mitnehmen können, zurück ins Abteil zu drängeln...
    Doch das Tohubawohu im Waggon legt sich in der Regel rasch. Wer mit dem Zug gekommen war, war bereits ausgestiegen und hatte von denjenigen, die ihn abholten, die ihm zustehende Portion an Küssen und Umarmungen erhalten. Oder auch nicht - wenn es niemanden gab, der ihn hätte abholen können. Jemand machte einen langen Hals, spähte über den Bahnsteig und fröstelte sogleich im durchdringenden Moskauer Wind los. Im Waggon wuselten nur noch diejenigen herum, die eingestiegen waren, um die Pakete und Päckchen in Empfang zu nehmen, die man den Reisenden - diesen Gelegenheitspostboten -für sie mitgegeben hatte.
    Ich griff nach der Tasche und steuerte auf den Ausgang zu, nach wie vor ohne zu wissen, was ich in der nächsten Zeit tun würde.
    Vermutlich, so überlegte ich mir, sollte ich Geld tauschen. Ich hatte keine einzige Kopeke - russischer Währung. Nur unsere, die guten alten ukrainischen. Die hier leider nichts galten. Kurz vor Moskau hatte ich die Tüte vorausschauend um eines der Päckchen erleichtert und einen Teil der Geldscheine in meine Taschen gestopft.
    Brieftaschen habe ich schon immer gehasst...
    Doch was heißt das schon? Ich? Immer? Mein immer setzte erst in der letzten Nacht ein.
    Automatisch fröstelte es mich in den Armen des Winters, während ich über den Bahnsteig zur Unterführung ging. Im Bahnhofsgebäude würde es doch wohl eine Wechselstube geben?
    Nachdem ich in meinem trügerischen Gedächtnis gegraben hatte, konnte ich zwei Dinge feststellen: Erstens, ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal in Moskau gewesen war, und zweitens, ich hatte trotzdem eine ungefähre Ahnung, wie das Bahnhofsinnere aussah, wo ich eine Stelle zum Tausch von Devisen finden konnte und wie ich zur Metro gelangte.
    Durch die Unterführung, den unterirdischen Wartesaal, die kurze Rolltreppe rauf, in den Saal mit den Fahrkartenschaltern. Mein erstes Ziel lag dann noch weiter oben, im ersten Stock, neben einer weiteren Rolltreppe.
    Doch die Wechselstube war seit langem und gründlich geschlossen. Weder Licht noch der kleinste Spalt oder die obligatorische Tabelle mit den aktuellen Kursen.
    Gut. Dann zum Ausgang und nach links, zum leicht abschüssigen Ausgang an der Metrostation Tschkalowskaja. Nur brauchte ich nicht in die Metro, sondern fand das Gesuchte in der Nähe des Eingangs.
    Ein weißer kleiner Laden, eine Treppe zum ersten Stock, in Licht getauchte leere kleine Räume, ein Knick... Der Wachmann maß mich mit einem raschen Blick und entspannte sich sofort, als er in mir den Touristen erkannte.
    »Kommen Sie herein, es ist frei«, erlaubte er großzügig.
    Ich nahm meine Tasche mit in ein winziges Zimmerchen, dessen ganze Einrichtung aus einem Mülleimer in einer Ecke und natürlich einem kleinen Schalter mit jenem beweglichem Kästchen bestand, das mich immer an ein ewig hungriges Maul denken ließ.
    He, ermahnte ich mich selbst. Vergiss nicht, wie jung dein

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