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2012 – Das Ende aller Zeiten

2012 – Das Ende aller Zeiten

Titel: 2012 – Das Ende aller Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian D’Amato
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bekreuzigte mich; dann wurde ich verlegen, weil ich mich nach so vielen Jahren noch immer verhielt, als wäre ich programmiert. Marena warf einen Blick ins Wasser, und eine schreckliche Sekunde lang befürchtete ich, sie könnte ihren Kaugummi hineinspucken.
    Maximón saß rauchend und beoachtend, wie er es immer tut, in einem Schrein am Ende des Raumes, neben sich seinen leeren Sarg. Er trug eine Sonnenbrille, einen breiten schwarzen Filzhut, einen schwarzen Anzug, ein rotes Hemd und Dutzende von Opferschals und -krawatten um Hals und Schultern.
    Er war größer als gewöhnlich. Meistens war Maximón recht uneinheitlich zusammengebaut, aber dieser cuandero hatte eine alte Schaufensterpuppe als Körper benutzt, und den Silbergriff des Spazierstocks hielt eine feminine Hand; die Nägel waren in einem merkwürdigenhellen Rot oder Orangerot lackiert. Sein Gesicht sah aus, als wäre es erst kürzlich gemalt worden, und der schwarze Schnurrbart glänzte. Er hatte die Beine weit gespreizt, und auf seinem Schoß stand eine Schale mit verdrehten Quetzales-Scheinen, Flaschen mit Squirt-Limonade und aguadiente , Schnaps. Ich kniete mich vor ihn hin und berührte mit der Hand den Boden.
    »Salud, Caballero Maximón« , sagte ich. »Ahora bien, le encuentro bien.« Ich erhob mich wieder. »Jeden Augenblick, jede Stunde, jedes Jahr danke ich dir«, sagte ich auf Spanisch. »Und ich danke dem Heiligen des heutigen Tages, Sankt Anselmo, und dem cuandero von San Cristóbal, dass sie dich heute hierher gebracht haben. Und ich habe dir etwas mitgebracht, nur um dich zu verwöhnen.«
    Ich kniete mich wieder hin und legte die Zigarren auf ein Opfertuch. Sie waren gut, bei hoher Luftfeuchtigkeit, gelagert worden, und trotz des vielen Rauchs im Haus konnte man ihr kräftiges Aroma im ganzen Raum riechen. Maximón feixte wie üblich, und fast schien es, als nickte er mir zu.
    Ich stand auf und sagte: »Ich danke dir, Señor. Gott groß, Gott klein, Gott mittel. Es gibt einen Größeren und einen Kleineren, einen, der sich um die Erde kümmert und um unsere Hände und Füße. Bitte segne meine grandeza. Mit uns zählst du die roten Saatkörner, und die schwarzen. Du zählst die Steine und die Totenschädel mit uns. Osten, Norden, Westen und Süden, du wachst an den Kreuzwegen. Du behütest uns, wenn die Erdbeben kommen. Du schenkst uns die Nacht, und du schenkst uns die Kraft. Alle Toten, die tot sind, haben uns gelehrt, wie wir uns um dich kümmern müssen, und wir werden es die Neugeborenen und die Ungeborenen lehren. So soll es sein. Wir danken dir, Sanita. Verzeih, wenn ich dir den Rücken zukehre. Salud, Don Maximón.«
    Ich wandte mich ab, ging hinaus, nickte dem cuandero noch einmal zu, legte weitere fünfhundert Quetzales – etwa fünfundsechzig US -Dollar – in eine Gallo-Schachtel neben seinem Tischchen, sagte: »Für die Novenen«, und ging.
    Wir kehrten auf die Hauptstraße zurück. Ana funkelte mich verärgert an. Egal, Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.
    »Ist das etwa ein richtiger katholischer Heiliger?«, fragte Marena.
    »Nun ja, er steht eher nicht in den Büchern«, antwortete ich. »Er ist eigentlich nichts für gute Katholiken. Er ist eher was für schlechte Katholiken.«
    »Hm.«
    »Er blickt aber auf eine lange Tradition zurück, heißt es.«
    Wir verließen die Stadt nach Westen, während der braune Mond vor uns auf und ab tanzte – das Prinzip der Analogie: wie oben, so unten , dachte ich hochgestochen –, und kamen auf eine Schnur des Netzes von Trampelpfaden unter der Cordillera de los Cuchumatanes. Ungefähr zwei Kilometer vor der Stadt verzweigte der Weg sich nach Süden und führte am Fluss entlang. Ich hörte ihn gerade außer Sicht brüllen, und ich roch geschnittenes Schilf und Schlamm, dann Schimmel und etwas wie frischen Ingwer, und dann, unter all diesen Gerüchen, etwas ganz anderes, so schwach wie ein Hauch von Ambra, der sich vielleicht noch immer aus dem trockenen Rückstand eines leeren Flakons von Guerlain Samsara verbreitet, den man an einem heißen Nachmittag auf einem Flohmarkt aus einer staubigen Kiste hebt, weil er aussieht wie ein Fläschchen, das vielleicht auf Mutters Nachttisch gestanden hatte, als sie jung war; das Pheromon für den Hausbedarf.



(23)
    Sylvanas Wimper flatterte gegen meine Schulter, wie es immer war, wenn sie träumte, aber es war nicht sie, es war etwas anderes – also zerkratz es. Ein Tier! Ein lebendiges Tier. Okay, ich hab es. Hoppla, jetzt krabbelt

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