2012 – Das Ende aller Zeiten
Feindseligkeiten aufgefasst werden könnten. Er verneinte es. Solche Dinge besaßen ziemlich klare Bedeutungen, und er war ein alter Soldat und hatte schon alles gesehen. Wir verschlossen den Krug wieder. Er war eigens angefertigt worden und zeigte zwei der gemeinsamen Vorfahren von 2 JS und Frau Koh im Profil. Damit ließen wir erkennen, dass wir Koh an ihre familiären Verpflichtungen erinnern wollten.
»Ich möchte noch etwas hinzufügen«, sagte ich.
12-Kaiman blickte mich an. Ich erklärte, die ganze Angelegenheit sei so ernst, dass wir einen kleinen Einblick in unser Blatt gewähren wollten. Ich diktierte:
»Kan Ahau: ajtonxa pochtal Tamoan …
Im zehnten B’ak’tun, im vierten K’atun, im sechzehnten Tun,
Im nullten Uinal [ungefähr August 530 n. Chr.]
Brannte Weißer Aal [der Halleysche Komet] über uns.
Im zehnten B’ak’tun, im achten K’atun, im dreizehnten Tun,
Im elften Uinal [ungefähr Februar 607 n. Chr.]
Brannte Weißer Aal wieder über uns.
Im zehnten B’ak’tun, im zwölften K’atun, im elften Tun,
Im dritten Uinal [ungefähr April 684 n. Chr.]
Wird Weißer Aal wieder über uns brennen.
Vor dem vierzehnten Uinal im neunzehnten Tun des zwölften K’atun
Im zehnten B’ak’tun [also irgendwann vor Januar 692 n. Chr.]
Wird Teotihuacán niedergeworfen, aufgegeben.
Fertig.«
Keines dieser Daten stand im Codex Norenbergae oder in irgendeiner anderen Spielaufzeichnung, von der ich durch 2-Juwelenbesetzter-Schädel erfahren hatte. Doch es waren allesamt tatsächliche Geschehnisse. 2 JS hatte mir außerdem erklärt, jeder wisse vom Halleyschen Kometen; wie sollte es anders sein. Doch niemand könne sein Erscheinen genau vorhersagen, weder durch den Einsatz des Spiels noch auf andere Weise. Ich entgegnete, das sei kein Wunder, da seine Periode alles andere als regelmäßig sei. Man braucht moderne Instrumente, um sie auf zwei Jahre genau vorherzubestimmen, und richtig festgenagelt hat man ihn erst in den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts. Koh müsste davon beeindruckt sein. Oder?
Ich ließ meinen Nachsatz von 3-Heimkehrende-Motte wiederholen. Schon beim ersten Mal bekam er es richtig hin. Dann schickten wir ihn los.
»Wir warten nicht auf Antwort«, sagte ich. »Wir geben ihr viertausend Schläge« – ein Ausdruck für etwa eine Stunde –, »und stehen dann einfach bei ihr vor der Tür.«
12-Kaiman wirkte ein wenig befremdet, doch die Entscheidung war meine Sache, und er sagte nichts.
Hun Xoc, Linke-Yucca – der Sohn von 14 – und ich verließen dasHaus über einen leeren Innenhof. Andere Gäste von 14s Haus legten sich bereits auf der Dachterrasse schlafen, doch wir stiegen über sie hinweg, kletterten in die schmale Nordgasse hinunter und strebten ostwärts zur Hauptachse.
»Verhalten wir uns ruhig«, sagte Hun Xoc. Er wollte nicht, dass jemand belauschte, wie wir Ixianisch sprachen. Ich hatte darauf bestanden, dass wir helle Opfermasken trugen statt des Mundkamms, der mich in die Tollwut trieb – es gibt nichts Schlimmeres als ein schlechtes Piercing –, und wir hatten uns hiesige Mantas mit einem grau-roten Skorpionmuster aus Perlen übergezogen, das vereinfacht gesagt bedeutete, dass wir im Augenblick unsere Sippenpflichten beiseite geschoben hatten und beabsichtigten, Regenopfer für die ganze Stadt darzubringen. Auf diese Weise ließ sich nicht feststellen, welcher Sippe wir angehörten. Trotzdem gaben wir uns nicht so ganz als Teotihuacáner aus. Das hätte uns wirklich Scherereien eingebracht, wenn man uns erwischte. Ich sah mich um. Wir schienen die Spitzel übertölpelt zu haben – falls man sie Spitzel nennen konnte, wenn sie auf Verstohlenheit so wenig Wert legten. Wahrscheinlich war es in den letzten Jahrzehnten der alten Sowjetunionähnlich gewesen; auch dort hatten die Leute alle Aufpasser gekannt, oder doch wenigstens die meisten. Vielleicht waren die Spitzel überlastet, weil solche Mengen in die Stadt strömten. Verwirrung konnte nur zu unserem Vorteil sein. Außerdem unternahmen wir schließlich nichts Subversives, oder? Zumindest jetzt noch nicht.
Wir bogen nach rechts in eine dunkle Straße, die an eine Alameda im Nahen Osten erinnerte. Sie war etwa fünf Arme breit und ungefähr einen Häuserblock von der Hauptachse entfernt, sodass es, räumlich gesehen, so ähnlich war, als marschierte man auf einer (viel schmaleren) Upper Madison Avenue nordwärts und könne an jeder Ecke einen Blick in den Central Park werfen. Wir nahmen einen
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