2012 – Das Ende aller Zeiten
prägten uns die Szene ein. Eine Minute später wurde der Bildschirm dunkel.
»Also gut«, sagte Taros Computerstimme. »Wir hätten von euch beiden gern Antworten auf drei Fragen. Erstens: Wird die Menge über den Zaun klettern und das Gebäude angreifen? Zweitens: Falls es geschieht, wann? Und drittens: Falls es geschieht, sind die Angreifer erfolgreich und nehmen das Gebäude ein? Ihr habt dreißig Minuten. Hat jemand eine Frage?«
Ja, dachte ich. Ist ein brauner Wachsmalstift das Gleiche wie ein Bleistift Nummer 2, oder …
»Also gut, keine Fragen«, sagte Taro. »Bitte fangt an.«
Ich verteilte meine virtuellen Maiskörner über das Spielbrett. Sie sprangen ein wenig zu hoch, aber das spielte keine Rolle. Es geht nur darum, dass der Gegenstand der Anfrage – das Geschehen in Asien – ein Zufallselement aufweist und dass der Zufall sich auch auf dem Brett wiederfindet. Natürlich würden Taros Leute gleichzeitig konventionelle Software über das Video und alle anderen Daten laufen lassen, die sie vom Ort des Geschehens erhielten.
Sie würden die gleichen auf Gruppendynamik basierenden Katastrophenmodellierungsprogramme benutzen, die das US -Heimatschutzministerium einsetzt, um Zusammenrottungen entgegenzuwirken, und außerdem alles, was das LEON -Projekt bisher ergeben hatte.
Trotzdem konnte ich es besser. Ich setzte meinen Läufer in die mittlere Mulde.
Grundsätzlich ist es Ziel des Opferspiels, den Läuferstein zu fangen. Wenn man eine Partie mit einem Läufer spielt, heißt das, dass eine Person nur einen Stein bekommt, sein Gegner jedoch viele Steine. Das kommt manchen Leuten ungerecht vor, obwohl es eine ganze Klasse von Brettspielen gibt, die im 21. Jahrhundert noch gespielt werden und in denen es ganz ähnlich zugeht. Einige der beliebtesten heißen »Fuchs und Gänse«, »Hase und Hunde« und so weiter. In Asien sind sie beliebter als hier. Wie auch immer, sie alle klassifiziert man als hochgradig asymmetrische Spiele. Und in allen spielt eine Person mit wenigen schnellen oder mächtigen Steinen, die andere Person mit einer ganzen Reihe langsamerer oder schwächerer Gegner. Wenn Sie der Läufer sind – oder die Beute, das Opfer oder wie immer Sie es nennen möchten –, ist es Ihr Ziel, den Jägern oder »Häschern« zu entkommen. Bei Hase und Hunde, das auf einem Damebrett gespielt wird, kann das bedeuten, dass Sie nur den gegenüberliegenden Rand des Spielfelds erreichen müssen. Im Opferspiel beginnen Sie am Startdatum im Zentrum des Bretts. Um zu gewinnen, müssen Sie eines der vier Fluchtfelder erreichen, die an den Ecken liegen. Das ist aber nicht so einfach – nicht nur wegen der vielen Jäger, die versuchen, Sie einzukreisen, sondern weil Ihre Bewegungen teils von einem Zufallsgenerator bestimmt werden. Außerdem hinterlässt beim Opferspiel der Läufer ein Zeichen, wo er gewesen ist. Jedes Mal, wenn er auf einem Feld zur Ruhe kommt – genauer, auf einem Punkt –, hinterlassen Sie einen Stein, der diese Stelle markiert. Die Spur, die Sie hinterlassen, ist wie reale Geschichte und steht im Gegensatz zum übrigen Brett, das eher wie ein ozeanisches Netz der Wahrscheinlichkeiten ist. Jedes Mal, wenn Sie sich bewegen, bezeichnet dies ein Datum. In gewisser Weise ist das Brett also wie einer der ewigen Kalender, die es früher gab, mit den vier Ringen und all den Stiften; es gab sieben Stifte für die Wochentage und einunddreißig für die Tage des Monats und so weiter. Jedes Mal also, wenn Sie sich im Raum bewegen, hinterlassen Sie zugleich eine Spur in repräsentierter Zeit. Und wenn Sie diese Spur lesen und extrapolieren, also den nächsten Zug erraten können, denken Sie in die Zukunft.
Jedes gute Spiel versetzt den ernsthaften Spieler in seine eigene Art von tranceartigem Zustand, und das Opferspiel hat eine ganz eigene Atmosphäre, die sich nur schwer beschreiben lässt. Vielleicht haben Sie mal Pachisi gespielt oder eine seiner modernisierten Versionen wie Ludo oder Mensch-ärgere-dich-nicht. Vielleicht können Sie sich noch erinnern, wie aufregend es war, den Becher mit den Würfeln zu schütteln und die kleinen Pöppel oder Murmeln aus Ihrer Ecke heraus auf das Spielfeld zu bewegen, und wie es ist, seinen letzten Stein ein kleines Stück vor dem Gegner nach Hause zu bringen, und wie es auf der ganzen Welt nichts Schlimmeres geben kann, als wieder zum Anfang zurückgeschleudert zu werden, wenn man gerade ans Ziel der langen Odyssee kommt (und dass es nichts Schöneres
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