2012 – Das Ende aller Zeiten
von André the Giant eine Gallone eisgekühltes Clorox ins Gesicht kippen, während er auf meinen Kronjuwelen kniet. Ich stöberte ein wenig herum, wie man es in Hotelzimmern eben so tut. Es gab ein Bad mit einem Haufen von unecht luxuriösen Nettigkeiten, darunter natürlich keine Kondome. In einer Schublade lag das übliche Buch Mormon. Auf der Frisierkommode lagen aufgefächert Reisebroschüren. Die oberste hieß Abenteuerliches Guatemala und zeigte das Bild eines hübschen Maya-Mädchens in einfacher einheimischer Kleidung, das mit Hey-Joe-hast-du-Nylonstrümpfe-dabei?-Miene vor Stele 16 in Tikal stand. Sie können sich aussuchen, ob Sie die Maya in Stein oder persönlich kennenlernen , stand darunter. Besuchen Sie Guatemala, das Land voller Geheimnisse. Prächtig, dachte ich. Sie können sich aussuchen, ob Sie die Maya mit Steinen oder in Gefängnissen ausrotten wollen. Besuchen Sie Guatemala, das Land des Leidens. Dominio de Desesperanza.
Ich setzte mich aufs Bett, loggte mein Netphone ins LAN ein und fand die Sie-sind-hier-Karte. Ich gab
MARENA PARK
ein, und ein blauer Punkt erschien nicht allzu weit von meinem kleinen roten Punkt entfernt. Ich zoomte herein. Bloß den Korridor hinunter, wie es schien. Ich verließ den Raum und folgte dem Punkt. Aus einem hell erleuchteten, aber menschenleeren Pausenraum drang Lärm wie von einem Fernseher, und ich ging hinein. Der Raum roch wie ein Büro, also roch er sehr ähnlich wie Comme des Garçons Odeur 53, nur ohne dessen Zauber. Dazu kam eine Beimischung von Instantkaffee. Auf meinem Netphone war der blaue Punkt nun praktisch über dem gelben. Hmm. In der Mitte des Raums stand ein Henge aus teuren Verkaufsautomaten. Ich ging zu einem, zog eine Kontokarte durch die kleine Vagina – wow, man bekommt noch was fürs Geld, dachte ich – und erhielt zwei Tüten Jelly Bellys.
»… auch den Reportern, die über die Ereignisse berichten, einen hohen Preis abverlangt«, sagte irgendein Kerl im Fernsehen. Ich schob mich um die Automaten herum. Auf der anderen Seite saßen oder fläzten sich Marena, Taro und ein paar andere auf drei Seiten um einen ovalen Tischund schauten auf einen großen Fernseher, der auf einer Art Staffelei stand. Die weiße Resopal-Tischplatte war mit Snacks, Getränkebechern und einer Auswahl der neuesten persönlichen Kommunikationsgeräte übersät.
Marena winkte mich zu sich.
Ich ging zu ihr. »… begrüßen wir im Studio Brent Warshowsky mit weiteren Erkenntnissen« , fuhr der Typ im Fernsehen fort. »Brent?«
»Danke, Alexander« , sagte Brent. »Reporter in der Krise: Nähern sie sich ihrem Thema zu sehr?«
Ich ging an Taro vorbei und begrüßte ihn stumm. Er fasste mich kurz an den Arm und freute sich sichtlich, mich zu sehen.
Setz dich hier links neben mich, bedeutete Marena mir. Ich gehorchte.
»Ich sprach mit Anne-Marie Garcia-McCarthy vom WSVN TV in Miami« , fuhr Brent fort. Die Laufschrift am unteren Bildschirmrand verhieß:
SONDERBERICHT – WIE REPORTER MIT DER KATASTROPHE UMGEHEN
. »Heute früh führte sie ein gefühlsgeladenes Gespräch mit einem verstörten Mann in Overtown … der während der Tragödie von seiner Frau getrennt wurde.«
»Wie geht es Ihnen, Sir?« , fragte Anne-Marie. Der Mann erwiderte etwas, doch er weinte, und ich verstand ihn nicht.
»Und was ist mit Ihrem Haus?« , fragte sie.
»Es ist kaputt, meine Frau und ich waren da, und wir versuchen rauszukommen, und, äh, und, äh, das Feuer kam …«
»Und wer ist jetzt bei Ihnen?«
»Niemand.«
»Und wo ist Ihre Frau jetzt?«
»Niemand ist da.«
»Wo ist Ihre Frau jetzt?«
»Hier nicht. Sie ist nicht mehr da.«
»Sie können Ihre Frau nicht finden?«
»Ich, ich hab es versucht, ich wollte sie an der Hand halten, aber sie war in Flammen, und es ist zu heiß da drin, ich kann sie nicht halten. Sie sagte, geh du fort, kümmere dich um die Kinder. Und die Enkel …«
»Okay, Sir, wie heißt Ihre Frau? Nur für den Fall, dass wir sie finden.«
»Hat keinen Sinn, sie ist nicht mehr da.«
»Wie heißt Ihre Frau denn?«
»Lakerisha.«
»Und wie ist Ihr Name?«
»J. C. Calhoun.«
»Nun, falls die Retter eine Lakerisha Calhoun finden sollten – «
»Hat doch keinen Sinn, sie ist nicht mehr da. Sie war ganz verbrannt. Sie war meine kleine … ganz verbrannt …«
»Reporter sehen sich schwierigen emotionalen Balanceakten gegenüber«, sagte Brents Stimme. »Anne-Marie, vielen Dank, dass Sie heute Abend bei uns waren.
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