2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)
dem verdammten Tontopf hoch. Er stand einfach da, als wollte er sagen: »Ich bin klein, mein Herz ist rein.« Dabei hatte Hun Xoc gerade ein mittleres Erdbeben durch den verfluchten Pfosten gesandt.
»Die Harpyien ersuchen um Untersuchung der Schale!«, begann ich in förmlichem Ch’olan zu rufen, doch Hun Xoc war schon über mir und stopfte mir praktisch die Hand in den Mund.
Halt’s Maul, sagte er und brachte mich wieder aufs Rot. Brüllaffe und Sturmschritt waren auf den Beinen und rannten in unsere Richtung. Wir schwankten auf unsere Markierungen längs der Nordmauer zurück und hinterließen blutige Handabdrücke auf dem Stein.
Der achtzehnte Ball machte neunzehn Kreise – eine Unglückszahl –, und gerade, als ich glaubte, wir bekämen ihn, traf Sturmschritts Schuss in aller Fairness den Torpfosten.
»Neunzehn Tore, Ozelots,
Und siebzehn Tore, Harpyien.«
Die Ozelot-Seite brach in eine Jubelorgie aus.
Als der Lärm verebbt war, wurde verkündet, dass 2-Juwelenbesetzter-Schädel darum gebeten habe, den Einsatz um sein persönliches Vermögen zu erhöhen. Es war das Zeichen an die Harpyien, sich kampfbereit zu machen. Ich schaute zu unseren Tribünen hoch. Die dreihundert Geblüte in kampffähigem Alter tanzten umher und schwenkten ihre Baatob’ wie ganz normale Zuschauer, aber wenn man genauer hinsah, bemerkte man eine gewisse Ruhe, die verriet, dass irgendetwas vor sich ging. Sie zeigten die Ausdruckslosigkeit eines japanischen Turners, der an den Ringen einen Kreuzhang macht. Unter ihren Mantas machten sie sich zum Kampf bereit, nahmen die Nüsse von den Spitzen ihrer Blasrohrpfeile, lösten die Knoten ihrer Mäntel und des schwereren Putzes, damit sie sich binnen eines p’ip’ils davon befreien konnten, und banden sich Obsidianmesser und Sägegriffe an die Oberarme. Dabei musste man sehr vorsichtig sein, damit man sich nicht selbst aufschlitzte. Mit Obsidian ist nicht zu spaßen. Die Bruchkante einer Obsidianklinge ist unvorstellbar dünn; sie kann die Moleküle im Fleisch genauso leicht trennen wie in der Luft. Das läuft oft fast schmerzlos ab, sodass es eine Weile dauern kann, ehe man überhaupt bemerkt, dass man eine Schnittwunde hat. Man benutzt im 21. Jahrhundert – oder sollte ich sagen, man wird benutzen? – noch immer Hautskalpelle mit Obsidianschneiden. In jeder Feldschlacht mit Obsidianwaffen ist ungefähr die Hälfte der Kombattanten blitzschnell Hackfleisch, als wären sie durch einen Stapel Fensterscheiben aus der Zeit vor dem Sicherheitsglas gefallen.
Sehen die Ozelot-Spione, dass etwas vor sich geht?, fragte ich mich. Oder lief es so verstohlen ab, dass man davon wissen musste, um es zu bemerken?
Das Zeichen kam, dass 9-Reißzahn-Kolibri die Anhebung der Wette akzeptiert habe. Neuer Tumult brandete auf. Ich winkte Hun Xoc und Rote Schnur zu mir und hielt meinen Mund an Hun Xocs Ohr.
Wenn ein Kampf ausbricht, müssen wir auf das Gelände der Ozelots, sagte ich. Nach Westen.
Wieso?, signalisierte er an meinem Arm. Er wollte hierbleiben und es auskämpfen.
Wir müssten den Baum der Ozelots erreichen, antwortete ich. Ich habe es 2-Juwelenbesetzter-Schädel versprochen.
Ich wollte nicht, dass Rote Schnur – oder auch Hun Xoc – von dem Erdsternstaub erfuhr. Sie sollten lieber glauben, ich wollte den Himmelsbaum der Ozelots vergiften, was ritualistisch betrachtet sogar ein vernünftiges Ziel gewesen wäre: Es wäre dem Mord an der ganzen Sippe gleichgekommen.
Hun Xoc bedeutete mir, dass er nicht fliehen wolle.
Ich wollte erwidern, dass wir nicht flohen, sondern nur in eine andere Richtung vorrückten, aber ich stolperte über die Wörter. Es war nicht einfach, eine englische Redewendung ins Ch’olan zu übersetzen; zumindest fiel es mir nicht leicht.
Es sei keine Flucht, erwiderte ich schließlich; ich müsse ajma-xoc. Das hieß »befolgen, was unser Vater befiehlt«. Dagegen ließ sich nichts einwenden, und Hunc Xoc erklärte sich einverstanden, indem er die Schultermuskeln zusammenzog.
Nur wir drei gehen, und sechs von Kohs Gardisten, sagte ich. Vielleicht sogar weniger. Trotzdem können wir es schaffen.
Hör mal, irgendetwas geht vor, bedeutete Hun Xoc mir, indem er mich am Ohr berührte.
Was?, fragte ich, doch dann hörte ich es selbst.
»Kot Chuupol! Ile Kot Chuupol!« Die Stimme gehörte Smaragd-Sturmschritt.
Er hatte mich erkannt.
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»Kot Chuupol! Ile Kot Chuupol!«
Seine Stimme klang, als versuchte er, sich zu erbrechen, nur dass sie sehr laut
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