2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)

Oktober«, fuhr sie fort. »2012.«
    2 Kimi, 9 Sak, erwiderte mein Bewusstsein sofort und wie von selbst, aber aus irgendeinem Grund nicht ganz so automatisch wie gewöhnlich. Genauer gesagt ist es 2 Tod, 9 Weiße, das sechste K’in des fünfzehnten Uinals im neunzehnten und letzten Tun des neunzehnten und letzten K’atuns im zwölften und letzten B’ak’tun. 54 verkaufsoffene Tage bis zu 4 Ahau. Okay. Das bedeutete, dass ich 222 Tage verloren hatte. Das heißt, alle meine Erinnerungen aus den Monaten zwischen dem Bewusstseinstransfer im März und heute waren verschwunden wie ein nicht abgespeicherter Highscore bei Angry Birds . In gewisser Weise – genauer gesagt, in mehr als nur einer Weise – war der Jed, der bis gestern gelebt hatte, also Jed 1 , jetzt tot.
    Na ja, okay. Wie gewonnen, so zerronnen. Wenn ich irgendwelche brillanten Einsichten oder Warentermintipps für mich gehabt hätte, dann hätte ich mir eine Nachricht hinterlassen. Sie würde abmorgen in meinem toten E-Mail-Briefkasten auftauchen, also dem E-Mail-Konto, von dem niemand etwas wusste, nicht einmal No Way, mein bester Freund, oder Jerry Weir, mein Anwalt. Muss mich rausschleichen und mir ein paar frische Netphones besorgen, dachte ich. Später.
    »Atmen Sie aus«, sagte die Stimme. Ich tat es. Stoff senkte sich wieder auf meine Brust.
    Eine latexumhüllte Hand berührte mich. Ich blickte herunter, und die kleine Szene rückte in den Brennpunkt: Sie reichte mir einen halbleeren Tyvek-Becher mit Wasser, in dem ein einzelnes flaches Rotationsellipsoid aus Eis trieb wie der Köttel eines Gespensts. Offenbar war ich stärker vertikal aufgerichtet, als ich gedacht hatte. Ich nahm den Becher. Meine Hand und, wie ich jetzt sah, auch mein nackter Unterarm waren viel kräftiger geworden. Richtig muskulös sogar.
    Das kommt vom Hüftball, sagte mein Gehirn.
    Von wegen, entgegnete ich, wir sind nicht mehr in Schakals Körper. Erzähl mir keinen Blödsinn, Gehirn. Und im 21. Jahrhundert spielt man keinen Hüftball mehr.
    Ich trank zwanzig Milliliter. Das Wasser schmeckte ein bisschen anders. Ich meine, anders als Wasser. Grrg. Meine Zunge zuckte hin und her und erkundete die Mundhöhlenlandschaft. Nnng. Mein schiefer Zahn musste korrigiert worden sein, als ich bewusstlos gewesen war. Ich hatte meinen linken Eckzahn immer eingekeilt gelassen, irgendwie aus Nachlässigkeit, und jetzt fühlte er sich ganz gerade an …
    Die Stimme sagte etwas wie: »Nennen Sie mir Ihren Namen.«
    »Fangen Sie nicht gleich mit dem Schwierigsten an«, entgegnete ich, oder vielleicht wünschte ich auch nur, ich hätte es entgegnet, nachdem ich etwas noch Lahmeres gesagt hatte. Hatte sie überhaupt etwas gefragt? Vielleicht war ich gar nicht so sehr bei mir, wie ich glaubte. Ich gab den Becher zurück.
    »Wie geht es Ihnen?«, fragte eine andere, männliche Stimme. Taro? Nein, jemand, den ich nicht so gut leiden konnte. Wer? Nur keine Hast, dachte ich, du kommst schon noch drauf.
    »Überrascht«, versuchte ich zu sagen. Nur kam nichts heraus. Wenigstens versuchte ich ehrlich zu sein, denn alles, was ich empfand, war Erstaunen, dass es funktioniert hatte. Die Rückübertragung war immer viel unsicherer gewesen als die Übertragung in den Maya-Wirt. Und selbst das war nicht einmal perfekt verlaufen. Ich hatte die Warren-Leute immer in Verdacht gehabt, dass sie mir einen Bären aufbanden und dass sie in Wirklichkeit gar nicht damit rechneten, die Rückübertragung zufriedenstellend hinzubekommen. Andererseits hatte Warren viel mehr Zeit und Geld in die ROC -Phase gesteckt, als man veranschlagt hätte, um mich zu täuschen. Wir nannten sie ROC nach Rigor of Colloids , ein Ausdruck von Robert A. Heinlein, wobei er mit Colloid Leben meinte, das er oft als »Kolloidchemie« bezeichnet hatte, und mit Rigor  – Härte –, dass die Biologie zur »harten« Naturwissenschaft vom Range der Physik aufgestiegen sei.
    Wahrscheinlich hatte Warren einen Erfolg weniger erwartet, als sie preisgaben. Und sie wollten so viel von ihren Investitionen zurückbekommen wie möglich. Nach meiner Schätzung hatte ich bislang so viel gekostet wie zwei Flugzeugträger, davon einer mit einer Bowlingbahn aus schwarzem Ahorn.
    Im ersten Schritt des Wiederherstellungsprozesses, unmittelbar vor dem Zurückschreiben oder Hochladen, wurden meine Originalerinnerungen – das gesamte höhere Langzeitgedächtnis, das ich während meiner Lebenszeit in meinem Hirn aufgebaut hatte – durch eine Reihe