2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)
Name; den erfuhr ich nie. Ich wusste aber, dass er früher Lieutenant-Commander im SBS gewesen war, dem Special Boat Service, der britischen Version der US Navy SEAL s. Er redete in dem zurückhaltenden, aber trotzdem eine Herkunft aus der Arbeiterschicht verratenden Ton, den die britischen Muschkoten alle draufhaben, mit einem Hauch von australischem Akzent. Er war groß und von Natur aus jovial, und er hatte sich ein wenig das Haar wachsen lassen, seit er im Privatsektor tätig war, doch er legte nach wie vor eine militärische Haltung an den Tag. Er trug ein Tattoo mit einem knubbeligen römischen Kurzschwert und einem Spruchband, auf dem By Strength and Guile stand, DurchStärke und List , das Motto des SBS . Guter Plan, dachte ich. Er redete über die Leute auf Jed 1 ’ Charterboot, der Blue Sun, oder sollte ich eher sagen, der Matango. Man konnte sie von unserer Position aus nicht sehen, aber das Sonar verriet uns, dass sie dort draußen war, einen Kilometer OSO . Ach ja, Megalon erzählte uns das nur, weil er über sein Ohrstöpselhandy mit unserer Audio-Lady sprach, die mit dem Kapitän und einem IT -Spezialisten unter Deck war. Audio Lady – na, benutzen wir meinetwegen ihren dämlichen Codenamen, der »Mothra« lautete – schien etwas von ihrem Handwerk zu verstehen. Ich hatte mir die Audio-Rohdaten angehört, die uns von der Matango erreichten; sie hatten geklungen wie eine Hyäne im Windkanal. Man musste schon ein alter Audiofreak sein, um aus dem Zeug, das die drei unterschiedlich eingestelltenParabolmikrofone auffingen, etwas herauszuhören, es zu entrauschen, zu interpretieren und für uns andere zusammenzufassen.
»Reptar will, dass er in einer halben Stunde hochkommt. Ogra sagt nein.« Reptar war der Skipper der Matango . Ogra war Jed 1 .
»Ich bin immer gern nach Sonnenuntergang nach unten gegangen«, sagte ich. Die meisten Nacktkiemer kommen erst in der Dunkelheit aus ihren Ritzen und Winkeln hervor. »Nur …«
»Ha!«, rief Megalon. »Okay, es geht los.« Er sagte, dass Ogra mit zwei weiteren Tauchern, vermutlich Leibwächtern, nach unten gegangen sei; sie schwammen nach Süden, ohne Tauchschlitten im Schlepp, zur äußersten Spitze des Riffs. »Achtzehn Minuten.« Wir wollten so wenig Zeit wie möglich im Wasser verbringen, und ich hatte gesagt, dass meine durchschnittliche Tauchzeit bei siebzig Minuten lag. Wir brauchten zweiundvierzig Minuten, um ihre Position zu erreichen, und wir wollten sie gegen Ende des Tauchgangs erwischen, wenn sie müde waren. Ich verrutschte leicht auf dem kleinen Klappstuhl. Eeekch. Der Beinriemen meines Schleppgeschirrs scheuerte über die zarte Haut auf meiner Dammnaht, aber ich wollte vor Marena und Ana nicht den Reißverschluss öffnen und mir zwischen den Beinen herumfingern. Ein Trio brauner Pelikane bog über uns nach Westen ab. Weit im Osten nahm eine niedrige Wolkenbank den Farbton an, den Joseph Conrad als »jenes finstre Oliv« bezeichnet hat. Ich schaute auf den kleinen Bildschirm an meinem linken Handgelenk. Sechs Minuten vor Sonnenuntergang am Sonntag, dem 2. Dezember, mit anderen Worten, 63 Stunden, seit wir das Boot identifiziert hatten. Wettermäßig war es zwanzig Grad warm, bei siebzig Prozent relativer Luftfeuchtigkeit, Südostwind mit achtzehn Knoten, und bewölkt mit Chance auf Vernichtung. In einer Stunde würde die Flut ihren Höchststand erreichen, und die Wellen waren zwischen einem halben und einem Meter hoch und kabbelig. Die Wolken im Osten gehörten zu einem späten Tropensturm, der sich vierzig Meilen entfernt über Antigua zusammenballte. Laut Meg-Man konnte er zum Problem werden – oder zum »Faktor«, was wahrscheinlich noch schlimmer war als ein Problem –, aber noch war er es nicht.
»Wenn er uns nicht erwartet, warum hat er dann Leibwächter?«, fragte Marena.
»Vielleicht nur zur Sicherheit«, sagte Megalon. »Wegen der Strömungen. Oder es sind nur Freunde.«
»Freunde?«, fragte ich.
»Haben Sie keine Freunde?«, erwiderte er.
»Nein, es ist nur … Ich meine, überwachen wir nicht alle meine Freunde? Den einen, den es gibt, meine ich.«
»Ja«, sagte Ana.
»Dann sind es eben neue Freunde«, sagte Megalon.
Er zog seine Vollmaske über – eine Scheibe aus gelbem Fiberglas, die das Gesicht vollständig bedeckte und ein Nachtsichtgerät sowie Schrauben an den Schläfen aufwies. Sie besaß freiliegende Atemschläuche, die sich um seinen Hals krümmten und ihn aussehen ließen wie die Vincent-Price-Fliege mit
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