2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)
unsere Seite. Wir konnten weitergraben.
Gegen achtzig mal zwanzig Schläge vor Sonnenaufgang – oder was unter normalen atmosphärischen Bedingungen der Sonnenaufgang gewesen wäre – sah der Gipfel des Tafelbergs genauso aus wie bei unserer Ankunft. Wenigstens für mich. Für einen erfahrenen Fährtenleser jedoch … Trotzdem, sagte ich mir, verschwinden wir lieber von hier, auch wenn es nicht perfekt ist. Außerdem fiel noch immer Asche vom Himmel. Sie würde es ein wenig ausgleichen. Ich gab der Mannschaft das Zeichen, sich am Südostrand der Ebene zu sammeln. Ohne dazu aufgefordert zu sein, kauerten sich achtunddreißig Männer in zwei Reihen zu je neunzehn Mann nieder, das Gesicht nach Nordwesten gerichtet, zu ihren Geburtsorten. 2-Hand – ein andererAdoptivsohn von 2-Juwelenbesetzter-Schädel, der offiziell ebenfalls über mir stand, aber zunehmend als mein Zweiter Leutnant fungierte – ging die Reihen ab und sammelte die Opferbriefe ein. Wir würden sie am nächsten heiligen Tag dem Sternenrassler als Brandopfer darbringen. Der erste Mann signalisierte, dass er bereit sei, und der Nacom, unser unberührbarer Henker, hockte sich hinter ihn und hämmerte ihm – fast klopfte er nur – einmal gegen den Hinterkopf. Der Schlag trieb dem Mann das Hinterhauptbein ins Stammhirn. Das Geräusch war leise, als träfe er keinen Knochen, sondern Balsaholz.
Die Träger luden die Leichen auf die leeren Schlitten und zogen sie den Abhang hinunter. Sie würden vom Fleisch befreit werden, und ihre Knochen würden wir vermutlich mitnehmen nach … nun, wohin auch immer wir gehen würden, das war die Streitfrage. Die Knochen würden im Beinhaus des Sternenrasslers eingelagert werden. Es wäre schlecht, wenn ihre mies gelaunten Uayob’ hierblieben; sie würden nur einen Hexenmeister oder ein gieriges Gespenst oder sonst etwas zu den Krügen locken.
Auf beiden Seiten des Pfades konnte man die Wegbereiter gerade eben noch ausmachen, wie sie sich durchs Buschwerk schoben und sicherstellten, dass niemand aus der nun stark zusammengeschmolzenen Truppe sich davonstahl. Aber danach sah es nicht aus. Heutzutage bekam man noch wirklich gutes Personal. Oder um es weniger flapsig auszudrücken: Die Burschen zählten sich zu den Glücklichen, denn in dieser Gegend erging es denen mit einem Nagetier-Uay – das heißt, einfachen Leuten – im Leben nach dem Tod nicht viel besser als hier auf der nullten Ebene. Die meisten ihrer zahlreichen Seelen würden umherwandern und schließlich verhungern, denn von den Lebenden machte niemand sich die Mühe, sie zu füttern, jedenfalls nicht sehr lange. Diese Burschen hingegen erhielten auf den nächsten Ebenen garantierte, wenn nicht sogar üppige Unterstützung. Sie müssten keinem der Neun als Leibeigene dienen, nicht einmal einem der Dreizehn. Sie konnten sich endlich ein bisschen entspannen und auf das hinarbeiten, wonach im Alten Mayaland jeder strebte: dem Vergessen anheimzufallen. Bis dahin dauerte es ungefähr zwanzig Jahre. Nur jemand mit einem Katzen-Uay blieb ewig; nicht weil die Unsterblichkeit so ein Spaß gewesen wäre – was sie keineswegs war, schon gar nicht, wenn die Leute auf der nullten Ebene vergaßen, einem Blut und Tabak zu opfern –, sondern weil Katzen die Pflicht hatten, über die anderen Mitglieder der Sippe zu wachen, ob sie nun lebten oder tot oder ungeboren waren.
Außerdem, dachte ich, hatte Koh darauf bestanden. Stimmt’s? Ich konnte nichts dagegen machen. Von wegen. Schiebe die Verantwortung nicht von dir, Jedhead. Du hast die Zeugen kaltmachen lassen, so und nicht anders ist das. Und du hast noch eine ganze Menge armer Hunde mehr über die Klinge springen lassen. Und wenn du ehrlich bist, macht es dir auch gar nicht mehr so viel aus. Du bist auch nur so ein billiger Realpolitiker. Mieser Schweinehund.
Wir buckelten nach Südwesten den lang gezogenen Abhang hinunter. Die Träger bettelten um die Ehre, mich zu tragen oder wenigstens auf einem Schlitten ziehen zu dürfen, doch Schakals Körper drohte zu verweichlichen. Er war immerhin Spitzensportler gewesen, ehe die ganze Aufregung losging. Deshalb beharrte ich darauf, zu laufen. Auf dem Geröll nutzte ich ein weiteres Paar gummierter Sandalen ab. Bisher waren es fünf. 4-Schrei tauchte wieder auf, und er, 2-Hand und ich hielten eine kurze Besprechung ab. 4-Schrei berichtete, Frau Koh und ihr Gefolge seien bereits sechzig mal zwanzig Seillängen voraus.
Wir änderten unseren Weg, um sie zu
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