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2.02 Der fluesternde Riese

2.02 Der fluesternde Riese

Titel: 2.02 Der fluesternde Riese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Masannek
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Nirgendwo.
    Ich brauchte am längsten. Ich brauchte fünf Tage, ja, verflucht fünf lange Tage, bis ich es zum ersten Mal schaffte. Bis mein Ball bei Juli ankam. Ich zweifelte, ob ich es überhaupt jemals schaffen würde. Ich erinnerte mich an das Spiel gegen Willi, und ich wollte mich nie wieder so blamieren. Keiner von uns wollte das. Deshalb trainierten wir bis in die Nacht. Jeder trainierte das, was er konnte. Ja, das, was er konnte, habt ihr gehört. Und deshalb wurde jeder so gut wie noch nie, und am Abend des siebten Tages, am Abend vor Ostern, waren wir definitiv und unzweifelhaft die beste Wilde-Kerle-Mannschaft der Welt: der Welt und unserer wilden Geschichte.
    Deshalb ertrugen wir auch die zwei Tage Ostern. Wir kehrten nach Hause zu unseren Eltern zurück, und am Anfang waren Leon und ich genauso fassungslos wie Maxi, Markus und Nerv. Weder mein Vater noch Nervs Mutter, noch Edgar, der Butler in Markus’ Haus, oder der Vater von Maxi verloren ein Wort über das, was zwischen uns vorgefallen war. Ja, und selbst Julis Mutter tat so, als hätte sie nie mit Schallschutzhörern in ihrem Garten gestanden und uns daraus verjagt. Und Willi, Billi und Hadschi grüßten uns sogar wie uralte Freunde, als wir sie beim Ostergottesdienst zwei Reihen vor uns in der Kirche sahen. Sie taten alle so, als wäre gar nichts passiert. Als hätte sich in den letzten acht Tagen gar nichts verändert. Flitzfliegenschiss, ja, und auch wenn wir dabei den Spott in ihren Augen nicht übersehen konnten, kam uns das alles sogar recht.
    Auch wir wollten diese Peinlichkeit vergessen. Nein, wir wollten alle unsere Fehler vergessen, die wir in den letzten zwei peinlichen Jahren begangen hatten. Wir wollten wieder so werden, wie wir einmal gewesen waren. Nur größer und wilder, und das hatten wir in unseren Augen auch verfuchst und verteufelt geschafft. Das hatten wir uns als Star-Wars-Osterhasen und im Wald- und Wiesentraining bewiesen. Wir waren noch nie so fleißig gewesen. Wir hatten noch niemals so hart trainiert. Davon waren wir überzeugt, und deshalb ging es uns spätestens am Dienstag nach Ostern wieder fantastisch.
    Nein, das Wort reicht nicht aus. Uns ging es besser. Wir hatten den Vormittag nämlich frei. Wir mussten nicht mehr im Kaufhaus arbeiten, und deshalb brachte uns Raban zum Flüsternden Riesen und zeigte uns allen das Floß, das sich langsam und majestätisch auf uns zubewegte.
    „Ich habe ein Sägewerk gefunden, das flussaufwärts liegt“, erklärte uns Raban. „Das heißt, wir müssen die Bretter und Balken für Camelot 3 nicht durch die Stromschnellen bringen, sondern sie kommen ganz einfach und chillig zu uns.“
    „Yeah!“, raunte Maxi.
    „Und Rock ’n’ Roll!“, lachte ich. „Raban, mein Held, du bist ein Genie.“
    Juli und Leon zogen ihre Pläne hervor, und die nächsten vier Tage bauten wir vormittags und trainierten bis nachts. Das war wunderbar, hört ihr, und noch tausendmal besser. Wir waren Fußballpiraten-Erwachsenenkinder, und am Samstag, dem Tag vor dem ersten Donnerschlag spiel, schliefen wir auf der Plattform der noch wandlosen Halle von Camelot 3.
    Ich lag neben Leon und hörte sein Schnarchen. Ich hörte, wie Raban hinter ihm schmatzte und wie Nerv, der sich wälzte, beinah vom Baumhaus ins Wasser fiel. Aber ich konnte nicht schlafen. Ich sah auf den Fluss. Ich sah den Mond und die Sterne auf seinen Wellen tanzen. Ich fühlte mich gut, doch mir fehlte noch etwas. Mir fehlte Vanessa.
    Warum war sie nicht hier? Warum war sie nicht längst zurückgekommen? Wie konnte ich ohne sie sein, was ich wollte. Ich war doch das Herz der Wilden Kerle, und sie war das meine …
    Da entdeckte ich sie.
    Nein, es war nicht Vanessa. Auch wenn ich es einen bangen Herzschlag lang sehnsüchtig gehofft hatte. Doch das Mädchen am Ufer hatte ihre offensichtlich sonst hüftlangen Haare wie einen Turban um den Kopf gewickelt.
    „April, was willst du?“, dachte ich feindselig. Aber sie wartete schweigend. Sie stand einfach da. Sie winkte noch nicht einmal. Sie sah mich nur an. Ja, ich spürte den Blick trotz der Dunkelheit, und obwohl ich nur ihre Umrisse sah, spürte ich den Ausdruck in ihren Augen. Trauer lag darin und Mitleid und Liebe.
    Da erhob ich mich leise, stieg geräuschlos vom Baumhaus, glitt heimlich ins Wasser und schwamm zu ihr hin.

UNTER VERRÄTERN
    „Was willst du von mir?“, fragte ich immer noch feindselig, als ich vor ihr aus dem Wasser stieg.
    „Ich will dir was zeigen!“, antwortete sie

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