2030 - Chimaerenblut
daneben erspähte sie ein halb so hohes Gebäude. Davor stand ein Schild, das sie nur mit Mühe entziffern konnte: Chimären-Schule – gebaut mit Unterstützung der deutschen Kinkel-Stiftung.
Eine Schule?
Constantins Ruf unterbrach ihre Gedanken. »Josi, wo bleibst du?«
Sie legte das Fernglas auf den Boden, zog sich vom Rollstuhl auf die Hebebühne und stürzte sich auf halber Höhe kopfüber ins Wasser, während die Bühne langsam ohne sie nach unten fuhr.
Das Schott am Heck öffnete sich. Ben stieg ins Dingi. Lars ließ das Begleitboot über einen Kran ins Wasser gleiten. Yu erschien an Deck. Sie trug ein bodenlanges, körpernah geschnittenes, weißes Kleid. Hinter einer Rockfalte lugte der schneeweiße Schwanz hervor. Josi beobachtete Yus katzenelegante Bewegungen und schwamm neugierig näher.
»Josi?«, rief Constantin. »Ich dachte, wir wollten schwimmen?«
»Ja gleich.«
Ben stand im Boot und fing Yu auf.
Zwei Meter, schätzte Josi und war verblüfft, wie elegant Yu in dem schaukelnden Boot gelandet war. Cool. Für Katzen-Chimären vermutlich völlig banal. »Ihr seht toll aus.«
Yu stützte sich auf die Bootskante und sah Josi nachdenklich an. » Ocean-Woman !« Sie reckte das Kinn hoch und spähte über das Wasser. »Genieße deine Freiheit und sag mir hinterher wie es war.«
Ben schmiss das Boot an. Sie fuhren stehend zum Anlegeplatz. Yus Haare wehten im Wind.
Josi tauchte ab und ließ ihren Schwanz durchs Wasser schlagen. Niemand hält mich fest. Ich kann überall hin. Um die ganze Welt, wenn ich will. Zum ersten Mal seit sie den Fischschwanz hatte, spürte sie so etwas wie Freude. Sie holte Constantin mit wenigen Bewegungen ein und tauchte neben ihm auf. »Hier! Nimm meine Hand! Ich ziehe dich durchs Wasser.«
Yu und Ben kamen spät in der Nacht zurück. Constantin legte einen Datenstick und einen Tablett-PC auf den Küchentisch und setzte sich auf die Eckbank.
Endlich! Ihr Vater hatte eine Nachricht geschickt. »Josi Liebes, melde dich bitte. Du weißt, ich liebe dich. Was auch immer mit dir ist, ich bin für dich da. Dein Dad.«
Sie schluckte, der Speichel schmeckte bitter. Ihr Dad zweifelte keine Sekunde daran, dass sie noch irgendwo auf dieser Welt weilte. Guter Dad! Da fiel ihr Blick auf eine weitere Mail. Sie erkannte sofort Leons SWeb -Signatur: D-Leon-232530-01101. Sie öffnete die Nachricht, indem sie sich mit Daumen- und Zeigefingerabdruck authentifizierte. Die zweite Sicherheitsstufe, um den Datentransfer im Cloud -Computing vor unbefugtem Zugriff zu schützen. Ihr Herz klopfte vor Freude. »Hallo Josefine, melde dich bitte sofort! L.«
»Wann kann ich auf die Mails antworten?«
»Wenn es sehr eilig ist, morgen Abend.«
»Ist es. Sehr sogar.«
Über Constantins Mundwinkel huschte ein Lächeln. »Dein Dad?«
»Nein, ein alter Freund. Ich habe ewig versucht, ihn zu erreichen. Er…« Josi räusperte sich. »Er steckt in Schwierigkeiten.«
»Welcher Art?«
»Das hat nichts mit euch zu tun.«
»Ich entscheide das hier.«
»Nein.«
»Okay, dann zeig mir wenigstens die Signatur der Nachricht, damit ich sie überprüfen kann.«
Sie schob ihm das PC-Tablett rüber. Er runzelte die Stirn. »Kommt mir irgendwie bekannt vor. Ich muss das überprüfen.«
»Dann kann ich es dir auch gleich sagen. Er heißt Leon Blanc und wird gesucht. Man will ihm den Mord an den Hühnerfabrikanten Karl Anton Wilmershofen anhängen.«
Constantins Miene versteinerte sich für einen Moment. Dann entspannten sich seine Gesichtsmuskeln. »Danke für dein Vertrauen. Ich habe das übrigens mitverfolgt. Ich denke, dein Leon ist unschuldig. Aber wenn ich das richtig einschätze, sind ihm einige unbequeme Leute auf den Fersen. Lass mich erst prüfen, was die Nachricht zu bedeuten hat. Denn, ehrlich Josi, warum sollte er dich da mit reinziehen wollen?«
Josi drehte den Kopf weg und betrachtete das Muster auf ihrem Fischschwanz.
»Warst du etwa bei dem Einbruch mit dabei?«
»Ist das wichtig?«
»In der Tat.«
»Warum?«
»Es gibt Gerüchte im Netz.«
»Welche Gerüchte?«
»Sag mir einfach, ob du dabei warst.« Er blies die Luft zwischen den Zähnen durch. »Also ja?«
Josis Augen funkelten. »Ich habe nichts mit dem Tod des Fabrikanten zu tun. Und Leon ist unschuldig. Das musst du mir glauben.«
Constantin legte eine Hand auf ihren Arm. »Ist schon gut, ich glaube dir. Es ist nur so… es wird vermutet, dass Wilmershofen heimlich mit Fisch-Huhn-Chimären experimentiert hat. Du könntest
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