2030 - Chimaerenblut
ein liebreizendes Hauskätzchen. Andererseits war Yu extrem beherrscht. Sie hatte ihre Emotionen unter Kontrolle.
Ob Kathi bereits nach mir sucht?
Lars steckte seine Schweinsnase schnüffelnd zur Tür herein. »Schon fertig? Na, dann leg ich mal los mit den Bratkartoffeln. Mit viel Eiern… und Speck.«
Er drehte sich in ihre Richtung. »Oder mit Fisch?«
Josi wusste, er wollte sie necken, aber ihr gelang kein Lachen.
»Wie war das eigentlich, als du deine Familie und deine Freunde zurückgelassen hast?«
»Ach, das ist es.« Lars setzte sich zu ihr an den Tisch. Er rieb sich die Nase. »Schrecklich, ehrlich. Ich habe mich so betrogen gefühlt. Um meine Familie, meine Zukunft. Einfach alles. Doch nun ist das hier mein Zuhause… und seit ich das akzeptiert habe, geht es mir besser. Wenn mich mein Schweineleben nervt, dann tröste ich mich schon mal mit, na mit ’nem ordentlichen Suff. Kann ich dir aber nicht empfehlen.« Er zog die Mundwinkel nach unten. »Alle hören zu, wenn du kotzt.« Dann stand er auf und kramte in einer Vorratskiste. »Hilfst du mir beim Zwiebelschneiden?«
»Willst du, dass ich weine?«
Constantin kam zur Tür rein. »Ach hier steckst du.«
»Wo brennt es?«
»Der Empfang ist gestört. Ich hab schon wieder diese elenden, eingefrorenen Würfelbilder. Kannst du mal schauen? Sonst wird das nachher nichts mit den Nachrichten.«
»Wenn unsere Humanixe mir danach beim Kochen helfen kann, dann gerne. Ansonsten wird das mit dem Essen heute nichts mehr.«
»Geh schon!« Josi klopfte gegen ihren Fischschwanz. »Ich laufe dir so schnell nicht weg.«
Bevor Lars zurück war, hatte Josi auch den Speck kleingeschnitten. Es machte ihr nichts aus. Deshalb wurde sie nicht gleich zum Fleischesser. Ich bleibe mir treu, dachte sie, trotz dieses Freundschaftsdienstes.
Nach dem Essen schaltete Constantin den Monitor ein. »Keine Kastenbilder«, freute er sich und verstummte, als das World- Symbol die News aus aller Welt ankündigte. Er konnte die Anspannung in der Gruppe körperlich spüren. Die Eingriffe in die Menschenrechte in den USA waren seit Tagen Gesprächsthema.
Während China heimlich eliminierte, wer nicht in die Norm aus Anpassung und Leistung passte, machten die USA es hochoffiziell, indem sie die Chimären schrittweise aus der Mitte ihrer Gesellschaft ausgrenzten. Constantin griff sich aus einer Schale eine Kaffeebohne und zerkaute sie. Lernten die Menschen denn nie? Beinahe jedes Land hatte seine eigene brutale Geschichte: Die Natives in den USA, die Aborigines in Australien, die Tutsi in Ruanda, die Juden in Deutschland…
Ihm wurde übel bei dem Gedanken, was Menschen einander antaten. Er selbst hatte Schweizerisch-französische Wurzeln und besaß einen amerikanischen Pass. Seine Eltern waren Berufsnomaden und im Jahr seiner Geburt zufällig dort gewesen. Doch zunehmend fühlte er sich als Staatenloser.
Er hörte Ben neben sich schlucken. Er wusste, auch ohne hinzusehen, dass Ben bereits mit den Tränen kämpfte.
»Heute kam es erneut in weiten Teilen der USA zu heftigen Unruhen«, sagte der Sprecher. Hinter seinem Rücken zeigten sich auf vier Monitoren Standbilder von Straßenschlachten in New York, Chicago, Washington und Miami.
»Überraschenderweise hat der Kongress das Chimären-Gesetz vorerst zur erneuten Überarbeitung zurückgestellt. Offenbar gaben die Politiker den landesweiten Protesten doch noch nach…«
Die weiteren Worte gingen im Freudenschrei der Gruppe unter. Constantin konnte es kaum glauben. Erleichtert fiel Yu Ben um den Hals.
Während die anderen noch jubelten, grübelte Constantin weiter. Ob die entführten Politiker und Wissenschaftler in Australien zu diesem Aufschub beigetragen haben? Zumindest war es ein medienwirksamer Schachzug. Jetzt brauchen wir dringend eine Probe von dem Mammal -Virus auf dem Rebellen-Video. Und wir brauchen ein vertrauenswürdiges Labor in einem unabhängigen Land. Das Gegenmittel darf nicht zur politischen Waffe werden.
Er seufzte und verlagerte das Gewicht von einem Bein aufs andere. Die Rückenschmerzen ließen nicht nach. Mit der Hand rieb er über die verhärtete Stelle.
Auf dem Monitor wechselten die Aufnahmen zu den Straßenschlachten in Chicago. Die Polizei setzte Gummigeschosse ein und trieb die Demonstranten mit Wasserwerfern auseinander. Im Bild tauchte das Gesicht einer Husky-Chimäre auf. Tränen liefen über das Gesicht des Mannes. Er hielt ein Mädchen in den Armen. Sie hatte eine klaffende Wunde am Kopf.
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