2181 - Die Liebenden der Zeit
Sklaverei. Neben Varantir stand sie in der Bugschleuse, nur von Formenergiefeldern geschützt, als das gewaltige Schiff abhob. Unvorstellbare Kräfte waren nötig, die Walze zu stabilisieren und in den Orbit zu heben. Aber darüber dachte sie nicht nach. Voll Wehmut blickte Le Anyante hinab auf den zerschundenen Kontinent Geomm, der nur in ihrer Erinnerung lebendig bleiben würde.
Nie würde sie die Heimat wiedersehen. In dem Moment durchzuckte sie der Gedanke, dass die Wiedergeburt vielleicht an Tulacame gebunden war. Das hatten bislang weder sie noch Curcaryen in Erwägung gezogen. Die Wahrscheinlichkeit dafür war indes nicht anders als die aller Spekulationen. Erst als die Heimatsonne zu einem Stern unter vielen geworden und mit bloßem Auge nicht mehr zu identifizieren war, verließ Anyante die Schleuse. Eine Transportkapsel brachte sie durch das technische Gewirr der Wandung hindurch ins Schiffsinnere. Das hier war ihr Werk: die künstliche Landschaft mit den ausgedehnten Wiesen und den eingebetteten Seen, an deren flachen Ufern die ersten jungen Algorrian schon ausgelassen tobten. Vielleicht würden sie eines Tages ihre Herkunft vergessen...
Zum ersten Mal hatte sie Xantharaan aus weiter Ferne gesehen, ein Bild, das sie gierig in sich aufgesaugt und das sie vage an ihr Leben als Umbaria erinnert hatte. Längst hatte sie aufgehört, all die Spiralen, Balken und Kugeln zu zählen, in deren Nähe die TULA für kurze Zeit verweilt hatte. Die Kommandantin flog die galaxienarmen Regionen dieses Universums ebenso an wie jene Gebiete, in denen sich die Sterneninseln zusammenballten und üppige Stränge bildeten, die aus weiter Distanz dennoch nur wie ein feines Geflecht erschienen. Selbst der gewaltige Habitat-Walzenraumer war nicht einmal ein Staubkorn in der unendlichen Fülle von Gas, Materie und Energie.
Jahrzehnte verstrichen. Es gab Dunkelwolken und ausgedehnte Regionen der Sternentstehung, in denen Raumschiffe nicht überdauern konnten, Dunkelmaterie zwischen den Galaxien - aber Bedingungen, wie die Algorrian sie sich erhofften, blieben unentdeckt. Wenn es solche Bereiche gab, die schwer zugänglich, aber zugleich bewohnbar waren, schienen sie äußerst rar gesät. Unbehelligt zog die TULA ihre Bahn. Trotz ihres stählernen Gefängnisses fühlte sich die Algorrian frei. Nach 88 Jahren spürten die Ortungen endlich ein Gebiet auf, das den Vorstellungen nahe kam. Vierhundert Millionen Lichtjahre von der Heimat entfernt waren vor undenkbar langer Zeit zwei Galaxien kollidiert, hatten einander durchdrungen und anschließend große Materiemengen mit sich gerissen. Ein schlauchförmiges Gebilde verband mittlerweile beide Sterneninseln, ein Mahlstrom aus Materie, Energie und Gaswolken. Zehntausende Sonnensysteme drifteten durch diese Materiebrücke, umgeben von einem hyperenergetischen Chaos, in dem Ortungsanlagen jeglicher Art ihre Grenzen erreichten.
Mahagoul nannten die Bewohner einer der beiden Galaxien ihre Sterneninsel, doch aus dem energetischen Chaos selbst wurden keine Hyperfunksprüche aufgefangen. Hier war die Raumfahrt zwar erschwert, aber immer noch möglich. Ein Kompromiss für die Algorrian, weil im Bereich des Mahlstroms höhere Zivilisationen kaum entstehen konnten. Folglich standen Aktivitäten der kosmischen Ordnungsmächte nicht zu befürchten. Weder für Kosmokraten noch für Chaotarchen würde dieser hyperphysikalische Unruheherd jemals von Interesse sein. Für die Algorrian bedeutete er die Hoffnung auf Frieden.
Die TULA drang in den Mahlstrom vor. Inmitten des Chaos stießen die Algorrian schließlich auf eine gelb orange Sonne mit acht Planeten. Die innere Welt, vom starken Gravitationsfeld der Sonne geschützt, erwies sich als Sauerstoffwelt mit idealen Bedingungen. Varantir benannte die Sonne nach dem Stern, den sie verlassen hatten: Ansorja. Die innere Welt, auf der die TULA endlich landete, erhielt den Namen Tulacame
2.
In den Jahren des Neubeginns fand Le Anyante besser Zugriff auf die Psyche ihres Partners und zwang ihm eine Ruhe und Ausgeglichenheit auf, die er nie zuvor gekannt hatte. Aber vielleicht half auch die Ruhe des zunehmenden Alters, Varantirs Aggressivität weiter schwinden zulassen.
Die Algorrian vermehrten sich wieder. Ihre Kinder liefen frei durch die Savannen einer Welt, in der die Städte nicht mehr wie Geschwüre wucherten und alles Leben erstickten. Als Le Anyante und Curcaryen Varantir 2306 Jahre nach der Landung im Abstand von nur wenigen Monaten
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