2220 - Tote leben länger
„Gut. Wir können nicht länger warten, bis nach und nach alle Arbeiten abgeschlossen sind. Ich habe im Laufe des Tags versucht, mir ein einigermaßen umfassendes Bild von unserer Schlagkraft zu machen. Die Labors, Versuchsanlagen und Werkstätten hinken weit hinter dem eigentlichen Zeitplan her."
„Die Energieausfälle, die Umrüstung auf Fusionskraftwerke ..."
„Ich vermisse einen neuen und zuverlässigen Ablaufplan. Jede Vorgehensweise ist grundsätzlich in verschiedenen Szenarien durchzurechnen. Welche Version letztlich eintrifft, bleibt unerheblich, solange für alle Eventualitäten vorgesorgt wurde. Zudem kann im Bedarfsfall improvisiert werden. Wir Terraner hatten immer ein tüchtiges Maß Improvisationstalent."
Shebenyers Hände hatten sich um die Sessellehnen verkrampft. Nach vorn geneigt, als wolle er im nächsten Moment aufspringen, schüttelte er den Kopf. „Damit Sie es wissen, Malcolm: Eine Akademie ist nicht mit der USO vergleichbar. Unsere Aufgabe ist es nicht, Einzelkämpfer auszubilden, sondern Wissenschaftler und Techniker."
„Und warum geschieht das nicht? Sollten tatsächlich die bislang siebzig Lernenden die Kapazität dieser Akademie bereits sprengen? Ich will den Ablauf plan sehen!"
Shebenyer ließ sich wieder zurücksinken. Er schlug die Beine übereinander und schaute den Medotank herausfordernd an. Mit zwei Fingern der rechten Hand tippte er sich an die Schläfe. „Hier oben gespeichert, das genügt mir."
„Ich stelle jedem frei zu gehen, der nicht mit mir zusammenarbeiten will." Daellian war lauter geworden.
Der Ressortleiter blieb unbewegt. Dass ein Machtkampf zwischen dem Direktor und ihm unvermeidlich sein würde, hatte er vom ersten Moment an gewusst, nur dass es so schnell dazu kam, irritierte ihn. „Wie fühlt man sich mit einem zerstörten Körper?", fragte er. „Minderwertig?"
Daellian ließ sich nicht provozieren. „Wichtig ist das Nebeneinander von Ausbau und Schulung!", fuhr er fort. „Wir können nicht warten, bis der letzte Energiespeicher installiert wurde. Sobald ein neuer Raum zur Verfügung steht, geht es jeweils los! Terraner waren schon immer Meister der Improvisation. - Was ist mit den Professoren, technischen Dozenten und anderen Mitarbeitern?"
„Sie befinden sich im Arbeitseinsatz auf den einzelnen Baustellen", sagte Shebenyer gedehnt. „Weil ihr Wissen dort benötigt wird."
„Einen halben Tag lang geht es bestimmt auch ohne sie. Ich verlange, dass die wichtigsten Lehrkräfte sofort ihre eigentliche Arbeit aufnehmen. Ebenso die Studenten. Ihre Plätze im Aufbau werden andere einnehmen. So viel für den Anfang."
Malcolm S. Daellian fragte nicht, er setzte voraus. Auch, dass Shebenyer verstanden hatte, was ihm wichtig war. Mitternacht.
Gleißendes Lichtermeer nördlich des Kalup-Sees. Immer wieder Kaskaden von Licht, die bis zu den Wolken emporschössen und auseinander fluteten. Gleiter und Antigravplattformen für kurze Zeit der Finsternis entrissen, die kalte Nachtluft erfüllt von Maschinenlärm und Kommandos.
In der entgegengesetzten Richtung der Regenbogen. Eine Kuppel irisierender Farben, ein weithin sichtbares Fanal...
Nur allmählich ebbte der Lärm im Norden ab. Männer und Frauen in leuchtend weißen Hemden zogen sich zu den Kuppelbauten zurück, von denen viele erst als Stahlskelett aufragten. An den Außenverkleidungen arbeiteten Hundertschaften, unterstützt von metergroßen halbrobotischen Flugscheiben, die tonnenschwere Platten justierten.
Um 0.30 Uhr positionierten sich zwei Korvetten hoch über dem Gelände. Unter ihnen entstanden Energiegitter, dann feuerten die Desintegratorgeschütze. Auf einer Fläche von dreißig mal dreißig Metern wurde der Boden aufgelöst. Exhaustoren saugten die Staubwolken ab. Schließlich schwebten Roboter in die Grube und befestigten die Seitenwände im Spritzgussverfahren. Sie verwendeten dazu das verdichtete Aushubmaterial.
Keiner der Helfer hatte auf die Umgebung geachtet. Erst als der Medotank zwischen ihnen schwebte, registrierten sie die Anwesenheit des Direktors. „Ihr liegt im Plan?" Zielstrebig steuerte der Tank auf den Bauleiter zu. „Morgen beginnen wir mit den Versorgungsleitungen ."
„Weshalb die Verzögerung?"
„Die Leute sind müde. Sie arbeiten seit mehr als zwölf Stunden ohne Unterbrechung."
„Ich befinde mich seit über dreißig Stunden auf dem Gelände und hatte keinen Schlaf. Wer etwas bewegen will, muss leiden können."
„Die Männer und Frauen geben ihr Bestes.
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