2235 - Todesspiele
Kosmokraten gelten sollen. Für sie sind wir nichts weiter als Ameisen, die man achtlos zertritt, wenn sie den Weg kreuzen. Unsere Gefühle, Wünsche und Sehnsüchte bedeuten ihnen nichts.
Er spürte Zorn in sich hochkochen, heiß und hilflos, und krallte seine Cyborghand in die dünne Bettdecke.
Der Türsummer ließ ihn zusammenzucken.
Er fuhr hoch und warf einen Blick auf das Chronometer. Nach Mitternacht. Wer störte ihn zu dieser späten Stunde? Was wollte man von ihm? Plötzlich keimte Hoffnung in ihm auf. Vielleicht war es Porgork.
Vielleicht hatte irgendjemand ihren Notruf empfangen und Hilfe angekündigt. Vielleicht kam der Topsider, um ihm die frohe Botschaft zu überbringen ... Aber nein, in einem derartigen Fall hätte Porgork das Interkomsystem benutzt, wie es die Vorschriften verlangten. Kellborn stand auf, streifte seinen Morgenmantel aus flauschiger Synthowolle über und drückte den Öffner. Das Kabinenschott glitt zur Seite. Im von der Notbeleuchtung trübrot erhellten Korridor stand Lilien Obracht, die zierliche blonde Navigatorin der Station.
Sie lächelte verschüchtert, als sie ihn sah, und er bemerkte den Schmerz in ihren Augen, die unausgesprochene Qual.
„Ich ... Es tut mir Leid, dass ich dich störe, aber ich ..." Sie verstummte und senkte den Kopf.
„Ich habe noch nicht geschlafen", sagte er sanft und trat zur Seite. „Komm herein."
Nach kurzem Zögern folgte sie seiner Aufforderung und blieb in der Mitte der spartanisch eingerichteten Kabine stehen. Kellborn räumte hastig seine Uniform von dem einzigen Stuhl und machte eine einladende Geste.
„Setz dich."
Gehorsam nahm sie Platz. Sie hielt den Blick zu Boden gerichtet und faltete nervös die Hände. Ihr graublauer Crew-Overall wies an den Achseln dunkle Schweißflecken auf. Ihr Gesicht war blass und verspannt.
„Wir werden alle sterben, nicht wahr?", sagte sie unvermittelt, mit leiser, gepresster Stimme. „Es gibt keine Hoffnung mehr für uns."
Er wusste nicht, was er erwidern sollte. Worte des Trostes lagen ihm auf der Zunge, kleine, barmherzige Lügen, aber er konnte sie nicht aussprechen.
„Ich weiß es nicht", entgegnete er schließlich, während er sich schwer auf das zerwühlte Bett sinken ließ. „Wir funken schon so lange um Hilfe ... Man könnte befürchten, dass man uns vergessen hat." Ihre Schultern sackten nach unten.
„Aber Hoffnung besteht immer", fügte er hastig hinzu. „Uns bleiben noch ein paar Tage. Noch ist es zu früh, um zu verzweifeln."
Er sah, wie sie den Kopf hob und ihn betrachtete. Sie war noch so jung, erst am Anfang des Lebens.
Er selbst hingegen war bereits ein alter Mann. Wenn der Tod ihn holte, würde er wie ein vertrauter Freund sein, auf den er lange gewartet hatte. Doch Lilien ... sie hatte den Tod nicht verdient, solange sie nicht das Wunder des Lebens voll ausgekostet hatte.
„Noch ist es zu früh, um ans Sterben zu denken", bekräftigte er. „Sieh mich an." Er hob seine Cyborghand. „Als dieser Frachter explodierte, hätte niemand einen Galax auf mein Überleben verwettet.
Aber ich habe überlebt. Das beweist, dass man die Hoffnung niemals aufgeben sollte, selbst wenn die Lage aussichtslos erscheint. Es ist erst zu Ende, wenn es zu Ende ist." Sofort dämmerte ihm die Banalität seiner Worte, doch sie schienen zu wirken. Die Qual in Liliens Augen war etwas verblasst.
„Ich frage mich, wie es meinen Eltern auf Plophos geht", sagte sie zusammenhanglos. „Ob der Hyperschock den Planeten auch so schwer getroffen hat wie uns."
Kellborn lächelte aufmunternd. „Die LFT hat seit Jahren Vorbereitungen für diesen Fall getroffen.
Natürlich wird der Schock an keiner Welt spurlos vorbeigegangen sein, aber man war gewappnet."
„Ich wünschte, ich hätte Plophos nie verlassen", murmelte Lilien. „Ich wünschte, ich hätte diesen Job in der Raumbehörde angenommen, wie meine Eltern es gehofft hatten."
„Du bist kein Planetengewächs", erwiderte Kellborn. „Du bist für das Weltall geschaffen. Wie ich, wie alle anderen an Bord. Wir hatten keine Wahl."
Die Kosmonautin schwieg einen Moment. Dann zitterte sie plötzlich, als würde sie in der Hitze frieren. „Ich habe Angst", flüsterte sie.
Kellborn sah sie an, traurig und mitfühlend, und berührte mit seiner Cyborghand ihre Schulter.
„Wir alle haben Angst", sagte er ruhig. „Niemand muss sich dafür schämen."
Lilien glitt von ihrem Stuhl aufs Bett und schmiegte sich an ihn. Er war einen Moment völlig überrascht
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