224 - Im Turm des Warlords
verkauft!«
»Ohhh… Ahhh …« Sacripant stöhnte zum Steinerweichen. »Das hab ich nicht gewusst«, versuchte er sich verbal reinzuwaschen. »Wenn ich geahnt hätte …«
Ich zog ihn noch näher heran und setzte meine grimmigste Miene auf. »Erzähl keinen Taratzendreck! Raus mit der Sprache!«
Und endlich packte Sacripant aus: Keetje war vor einer knappen Woche nach Südwesten gebracht worden, zu einer Bucht gegenüber der Insel Nosii Be.
Dort ankerte der Großsegler Quakadu, dessen Kapitän nach Sacripants Wissen schon morgen zu den Komoren aufbrechen wollte.
***
Bevor wir den Platz zu überqueren wagten, um zum Turm zu gelangen, schauten wir uns nach allen Seiten um. Der Sturm legte sich zusehends; Ratzen, Katzen und einige Frühaufsteher kehrten auf die Straßen und Gassen zurück.
Die Tavernen hatten längst geschlossen. Eine sternhagelvolle Bordsteinschwalbe rief uns Angebote hinterher, auf die wir nicht reagierten, sodass sie uns schließlich als Schwuchteln beschimpfte. Ihr Geschrei hätte uns nicht weiter gestört, aber wie der Zufall es wollte, alarmierte sie damit einige Gentlemen mit Schlapphüten, die mir schon aus der Ferne bekannt vorkamen.
Sie erkannten uns offenbar auch, denn als wir geduckt zum Turm liefen, hängten sie sich an unsere Fersen. Noch einmal würden wir den Polizeitrupp nicht überrumpeln können, so viel war klar. Jetzt kam es auf jede Sekunde an!
Wir huschten in den Turm, verscheuchten Scharen fingerlanger Kakerlaken und einen kleinen Leukomorphen und liefen die Wendeltreppe hinauf. Da wir schon eine ganze Weile gerannt waren, um Land zwischen uns und den zeternden Sacripant zu bringen, gerieten wir bald außer Puste. Als wir das Turmdach erreichten, schnauften wir um die Wette.
Aruula, die auf glühenden Kohlen saß, hätte Yann beinahe enthauptet, als er so unvermittelt aus der Turmtür stürmte. Doch zum Glück graute jetzt der Morgen, und sie erkannte ihn im letzten Augenblick.
Während unserer Abwesenheit hatte sie dafür gesorgt, dass die Dampfmaschine unsere Roziere nicht ausging. Deswegen waren wir schon zehn Meter hoch in der Luft, als die Verfolger Klingen schwingend auf dem Turm erschienen. Glücklicherweise hatte keiner der Polizisten eine Fernwaffe dabei, mit der sie der Ballonhülle hätten gefährlich werden können. So konnten wir ihnen unbesorgt und äußerst freundlich zuwinken, während sich die Roziere schnell vom Turm entfernte. Ihre gottlosen Flüche jenseits aller Dienstvorschriften klangen noch lange hinter uns her.
Yann übernahm das Steuer. Ich informierte Aruula über alles, was wir in der Stadt erlebt hatten.
»Und jetzt?«, fragte sie, als am Horizont die Sonne aufging und sich unter uns steiniges, aber auch sehr grünes Land ausbreitete.
Ich zuckte die Achseln. »Wir machen dieses Schiff ausfindig und befreien Keetje aus der Sklaverei, was sonst?«
»Ist Yann in sie verliebt?«
Ich schüttelte den Kopf. »Glaube ich nicht. Sie ist so jung… sie könnte seine Tochter sein. Oder meine. Oder deine.«
Ich legte eine Hand auf Aruulas Schulter und streichelte ihre Wange.
Sie küsste meine Hand, und ich umarmte sie und drückte sie an mich. Sie war eine schöne und mutige Frau, und lieb dazu. Ich wusste nicht mehr, wie oft sie mir das Leben gerettet hatte. Dass sie mit mir durch dick und dünn ging, konnte ich ihr nicht hoch genug anrechnen. Es war zu schade, dass sie mit ihrem – unserem – Kind bisher nur Pech gehabt hatte. Vielleicht hatte sie deswegen Verständnis für Yann, der hinter dem Ruder saß und finster vor sich hin stierte.
Natürlich wussten wir nicht, ob uns Sacripant die Wahrheit gesagt hatte oder überhaupt eine Chance bestand, die Quakadu zu finden, bevor sie in See stach. Kapitäne waren schon zu meiner Zeit so etwas wie absolutistische Herrscher gewesen. Wenn der Mann, der den Segler befehligte, seinem Sultan treu ergeben war, standen unsere Chancen schlecht. Ansonsten waren wir gerne bereit, einige der Goldmünzen, die uns Pilatre zum Abschied überlassen hatte, für Keetje auszugeben.
Die Sonne stieg rasch höher. Ich war todmüde, aber müde waren Yann und Aruula auch. Ich riss mich zusammen, hielt die Nase in den kühlen Wind und genoss den Anblick der Landschaft, die immer grüner wurde, je weiter wir nach Südosten fuhren.
Dann sah ich wieder das Meer. Es war so klar und hell wie kein amerikanisches Gewässer im 20. Jahrhundert. Es war eine Freude, den weißen Sand zu erblicken, gegen den die Wellen und die
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